Gessnerallee
Zürich




DER PERFORMANCE-EFFEKT 
ist eine Gesprächsreihe in Dialogen


Die aktuelle visuelle Kunst verwebt sich seit den 1990er Jahren immer enger mit den Genres von Choreographie und Theater. Von diesen Annäherungen zeugen Tanzchoreographien und Sprechperformances auf Biennalen, Tanzretrospektiven in Museen, Performancedokumentationen auf dem Kunstmarkt, Live-Art-Events und choreographierte Ausstellungen. Auf der anderen Seite verstehen sich Theaterhäuser immer öfter als wandelbare und disziplinoffene Plattformen für ein breites Feld von Aufführungsformaten, wie begehbare Installationen, Ausstellungen, kuratierte Festivals bis hin zum Museums-Kurator, der als Theaterintendant eingeführt wird. 
Bei allen diesen Grenzauflösungen und -überlagerungen fällt die relative Abwesenheit eines begleitenden Diskurses auf, der die jeweils eigenen Genre-Referenzen, -Begriffe und -Kritik in Beziehung zueinander setzt.

Inszenierungsrahmen von «black box» und «white cube» sprechen eine Sprache, die die Produktion von Performances mitschreiben; aber wie werden sie thematisiert, hinterfragt oder dekonstruiert? Genrebildende Aspekte von Zeitlichkeit, Theatralität und Mimesis vermengen sich mit der Authentizität «des Künstlers» und der Autonomie des Publikums. Beschreibt das historische Selbstverständnis der visuellen Kunst noch ihr heutiges Verhältnis zu den Performing Arts? Was begründet die andere Lesbarkeit und Wahrnehmung von «Kunst» und «Theater»? Und, scheint die explizite Arbeit mit dem Körper als Material repräsentativ prekär gegenüber dem Konzept von Theorie und Sprache? 
In der Gesprächsreihe «Der Performanceeffekt» werden Akteur_innen aus den Feldern Kunst, Tanz, Theater und Performance eingeladen, um in Dialogen über spezifische Erfahrungen und Begehrlichkeiten von Produktion, Kontext, Rezeption, Repräsentation und Vermittlung zu sprechen.


17. März 2016

CURATING THE THEATRE? 
(Tonprotokoll)
Dorothee Richter, Kuratorin und Leiterin des post-graduate programme in curating ZHdK & Jochen Kiefer, Dramaturg, Regisseur & Leiter Vertiefung Dramaturgie ZHdK


Die kuratorische Rolle unterscheidet sich immer weniger von der der Künstler_innen, auch wenn sie zwischen Subjektivierung und Institutionalisierung verortet ist. Gleichsam verspricht sie konzeptionelle Autorschaft in zwanghaften Aufmerksamkeitsregimes. Aktuelle kuratorische Praktiken stellen sich immer wieder selbst in Frage: Der Kurator der diesjährigen Zürcher Manifesta10, Christian Jankowski ist selbst Künstler und - liess seine Berliner Einzelausstellung von der Schauspielerin Nina Hoss kuratieren. Die Ankündigung der Besetzung der Berliner Volksbühne mit dem Star-Kurator Chris Dercon wiederum entfachte einen „Kalten Kunstkrieg“ (Tobi Müller) um Deutungshoheiten und Fördertöpfe. Wie wirken die Grenzauflösungen der "kuratorischen Rolle" in der freien Szene, in Theaterhäusern und im Kunstfeld auf die Begehrlichkeiten der Akteur_innen? Ist Kuratieren der richtige Begriff für Performance und Theater? Welche Wechselwirkungen gibt es und von wo nach wo?


5. April 2016
POLITISCHE KUNST - ZU EINFACH, ZU KOMPLEX
 (Tonprotokoll)
Florian Malzacher, Dramaturg, Autor und Künstlerischer Leiter Impulse Festival (Berlin) & Doreen Mende, Kuratorin und Professorin HEAD Genève (Berlin/Genf)



Vor dem Hintergrund von Flüchtlingselend, salonfähigem Rassismus und Neo-Nationalismus in Europa, der Eurokrise und der Finanzkrise steht auch die Kunst nicht zurück: sie bezieht Haltung, sie klagt an, sie tut weh. Das ästhetische, ambivalente Feld der Kunst stellt sich in den Dienst von klaren Positionen, die in die unmittelbare Realität hineinragen. Nicht wenige Theaterbetriebe - va. in Deutschland - haben Flüchtlinge direkt auf die Bühne gestellt – und damit auch Kritik aus den eigenen Kreisen geerntet. Es hiess, man benutze diese Menschen für eigene Zwecke. Oder die Aufregung um die jüngste Aktion des Zentrum für politische Schönheit in Zürich.  
Politische Kunst kann auch in Fallen tappen, entweder ist sie zu didaktisch und bevormundend, verzichtet auf Mehrdeutigkeiten und beschreibt Realität schlicht zu einfach, illustriert verharmlosend, verschreibt sich zu sehr einer Effizienzlogik, stillt den Hunger nach Subversion für den affirmativen (Kunst-)Markt oder lässt sich unkritisch als plakativen Aufreger benutzen. Was also ist politische Kunst jenseits von «alles ist politisch»? Wie geht politische Kunst, zwischen den Polen von Simplifizierung, Komplexität, Bevormundung, Nützlichkeitsdebatte und Mainstreamliebe? Und welche Strategien zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt es in Theater, Performance und «Kunst»?


22. April 2016
REPRÄSENTATION VERSUS PERFORMATIVITÄT
 (Tonprotokoll)
Margarita Tsomou, Autorin, Dramaturgin, Kuratorin (Berlin/Athen) & Tim Zulauf, Autor, Regisseur, und Dozent im Fachbereich Kunst der HKB (Zürich/Bern)


Die Aufdeckung der Konstruktionen von «Wir» und «den Anderen» stehen im Mittelpunkt der künstlerisch/kuratorischen Arbeit von sowohl Margarita Tsomou als auch von Tim Zulauf. Ihr Interesse gilt den Mechanismen und Interessen von medialen, öffentlichen Repräsentationen und der Frage, wie diese «Bilder» hinterfragt werden können. Die Arbeiten von Tsomou und Zulauf beschäftigen sich mit performativen Gegenrepräsentationen in Form der Aufführung von Komplexität, die sich mit einer vorurteilsbehafteten Simplifizierung auseinandersetzt. Diese Arbeiten zeigen die Widersprüche auf von (öffentlicher) Repräsentation und (subjektiver) Performativität, die unmittelbar mit Machtstrukturen verknüpft ist.

Die Neuanordnung von Sichtbarem und Unsichtbarem, von ein-deutigen und mehr-deutigen Stimmen und Sprachen ist Gegenstand von Künstler_innen - im Theater, in der Choregraphie, in Texten, in der Performance, in der Kunst. Welche aktuellen Auseinandersetzungen dieses Spannungsfeldes lassen sich anhand konkreter Strategien beschreiben, welche ästhetischen Mittel werden wie eingesetzt und welche Möglichkeiten haben künstlerische Diskurse die medialen und öffentlichen Deutungsmuster zu stören?


10. Mai 2016
KÖRPERAUSSTELLUNGEN
 (Tonprotokoll)
Boris Nikitin, Theaterregisseur, Autor, Künstlerischer Leiter der Basler Dokumentartage (Basel) & Johannes Paul Raether, Performance-/Künstler (Berlin)


Wir alle kommen mit einem Körper auf die Welt, der Rest ist Performativität und Technologie. Wie artikulieren sich Kunst- und Theaterschaffende im aktuellen Spannungsfeld zwischen individuellem Körper und bio-digitalen Kapitalismus? Wie mit den Fragen von «normal-und-gesund», Inklusion, Körper 2.0, Reproduktions¬diagnostik und nicht zuletzt dem performativen Akt der identitären Subjektivierung?
«Identitecture» ist eine vom Künstler Johannes Paul Raether kreierte Welt aus hoch-komplexen und übertrieben-bunten Avataren, welche Abhängigkeiten des und Zugriffe auf den Körper(s) gleichermassen verhandeln. Der Regisseur Boris Nikitin beschäftigt sich in seinem neuen Text «Der unzuverlässige Zeuge 2 - Coming out» mit dem Coming-Out als Form der Zeugenschaft an der Schnittstelle von Fiktion und Wirklichkeit. 
In dem Gespräch diskutieren Raether und Nikitin über ihre eigenen Erfahrungen zwischen Körper und Öffentlichkeit, über Realitäten, Fakes, übers Sterben, über Dilettantismus und Liebe.


24. Mai 2016
PARTIZIPATION - THEATRALITÄT - LIVENESS (Tonprotokoll)
Sabine Gebhardt Fink, Kunstwissenschaftlerin, Performancetheoretikerin, HSLU (Luzern) & Tancredi Gusman, Dramaturg, Theaterwissenschaftler (Milano/Zürich)


Die Performance-Kunst diffundiert aktuell in die unterschiedlichsten Felder künstlerischer Produktion: in den Bereich Art in Public Spheres, in partizipative und kollaborative Aktionen oder in theatrale Inszenierungen. Allen eigen ist die Frage nach unmittelbarer Präsenz, dem Liveness-Aspekt. Die populäre Ausdifferenzierung des Performativen markiert ein Bedürfnis nach sozialen Ereignissen und Flexibilität.
In welchem Verhältnis stehen diese Ausdifferenzierungen zur Historie und Theorie der Performance-Kunst und veranlassen diese neuen Praktiken seit den 1990er Jahren eine Neuformulierung?  Wie können die räumlichen, gestischen und kontextuell-künstlerischen Aneignungstaktiken und wie die Zusammenhänge zwischen Liveness, der ökonomischen „Ereignis-Verwertung“ und dem Zwang zur Partizipation (Social Media, Customized Consuming) beschrieben werden?