Gessnerallee
Zürich

Mehr Information zum Performance-Stück «666 - The Group Piece» von und mit Nils Amadeus Lange, Annina Machaz, Maria Metsalu und Teresa Vittucci vom 3. (Premiere) bis 7. Dezember


© Jean-Vincent Simonet


«At least three types of witches exist: those who practice witchcraft, those who are characterised as witches (by courts, religious institutions or public opinion), and those who proclaim themselves witches but do not practice witchcraft. The latter two categories, which arise from a social construct and treat witchcraft as a metaphor, are the focus of this publication.»:  Witches: hunted, appropriated, empowered, queered by author and curator Anna Colin combines historical accounts, fictional literature, activist experiences, theoretical propositions and artistic reflections to form a multidisciplinary book on gender, myth and alterity—forty years after the witch returned in a new radical guise in the activist imagination, and at a time when alleged witches are still persecuted in certain parts of the world.
Literaturreferenz: http://editions-b42.com/books/sorcieres/

Historische Referenz:
Mary Wigman «Pastorale»

Mary Wigman «Hexentanz»


Die Hexenjagd ist zurückgekehrt

Ein Gespräch zwischen der Theoretikerin Silvia Federici und Auor und Künstler Tim Stüttgen von 2012 (publ. in taz, 10.10.2012)

Tim Stüttgen: Frau Federici, wenn ich mir die Veröffentlichung "Aufstand aus der Küche" anschaue, so geht es um eine marxistisch-feministische Reproduktionskritik, die bis heute im Zentrum Ihrer Arbeit steht.
Silvia Federici: Die Frage der Reproduktion ist schon seit mehr als 30 Jahren zentral für meine theoretische Arbeit. Eine relevanter Moment war dabei meine Zusammenarbeit mit dem Internationalen feministischen Kollektiv, der Organisation, die 1972 die internationale Kampagne für bezahlte Hausarbeit lanciert hat. Meine Arbeit ist von den Theorien des italienischen Operaismus der sechziger Jahre beeinflusst wie auch von den Theorien der antikolonialen Kämpfe und der Bürgerrechtsbewegung in den USA. Der Operaismus verfolgte eine Lesart von Marx, die mir half, die politische Dimension des Lohnverhältnisses als eine primäre Form der sozialen Herrschaft zu verstehen. Die TheoretikerInnen des antikolonialen Kampfes hingegen schrieben aus der Perspektive derer, die aus dem Lohnverhältnis und kontraktuellen Beziehungen insgesamt ausgeschlossen waren. Beide theoretischen Perspektiven waren grundsätzlich für mein Verständnis von der Ungleichheit, die Frauen in der kapitalistischen Arbeitsteilung erfahren. Sie halfen mir, zu sehen, dass es eine direkte Verbindung zwischen der Unterordnung der Frauen unter die Männer im Kapitalismus und ihrer unbezahlten Situation als Hausarbeiterinnen gibt.
Auch Ihr viel beachtetes Buch "Caliban & The Witch" erscheint erstmals ins Deutsche übersetzt. Wer sind diese beiden Charaktere, die dem Buch den Titel geben?
Der Kaliban und die Hexe sind Charaktere von Shakespeares "Sturm". Kaliban ist ein animalisches Monster, das von Prospero dem Magier unterworfen wurde, als es mit seinem Schiff auf dessen Insel strandete. Von Kaliban wird gesagt, dass er der Sohn einer Hexe war, und im Stück wird er als instinkthaftes Geschöpf dargestellt, das permanent gezwungen wird, zu arbeiten, und dagegen rebelliert. Im Buch steht er für die im Kapitalismus kolonisierten Bevölkerungen, aber auch für den proletarischen Körper, den der Kapitalismus in eine Ressource für Arbeitskraft umwandelte und domestizierte. Die Hexe ist die Mutter von Kaliban, doch sie steht auch für die vielen Frauen, die im 16. und 17. Jahrhundert am Horizont moderner kapitalistischer Gesellschaften wegen angeblicher Hexerei verbrannt oder gehängt wurden.
Der Untertitel Ihres Buches bezieht sich auf die "ursprüngliche Akkumulation", die Sie bei Marx entleihen.
Die "ursprüngliche Akkumulation" ist ein Begriff, den Marx benutzt, um den Prozess zu analysieren, der im 16. Jahrhundert in England begann, als die Grundbesitzer anfingen, die Bürger vom Lande zu vertreiben, ihre Häuser zu zerstören und ihren kollektiven Landbesitz zu zerteilen. Dieser Prozess war in Marxs Perspektive die "natürliche" Vorbedingung für die Entwicklung des kapitalistischen Zusammenhangs und für die Formation des lohnbasierten Proletariats.
Gleichzeitig stellen Sie Marxs Lesart infrage.
Marx übersah, dass ein essenzieller Aspekt für die Entwicklung des Kapitalismus die Aufteilung zwischen der Warenproduktion und der Arbeitskraft war. Nur die Produktion von Waren war als Arbeit anerkannt, während die Produktion von Arbeitskraft, insbesondere der Teil, der zu Hause stattfindet und normalerweise Hausarbeit genannt wird, als persönlicher Service definiert wurde, der keiner Bezahlung wert war. Diese Dichotomie ist eine immense Quelle für ökonomische Akkumulation. Sie hat die schweren Schultern der Arbeiterklasse erleichtert, zumeist auf Kosten der Frauen, die die Arbeitskraft reproduzierten.
Welche Funktion hatte der "Great Witchhunt"?
Erstens zerstörte er eine Welt voller Praktiken und sozialer Subjekte, die nicht mit der kapitalistischen Entwicklung kompatibel waren. Außerdem brach er die soziale Macht von Frauen und presste sie in die passive Rolle, die sie gegenüber den arbeitenden Männern hatten. Diese Separation von Produktion und Reproduktion ist bei Marx ungedacht, und diese Naturalisierung von weiblicher Hausarbeit und die Vertiefung der Geschlechterunterschiede transformierte die Frauen in eine körperliche Maschine für die Produktion von Arbeitskraft. Frauen, die dem durch ihre Lebensform widersprachen, waren die sogenannten Hexen.
Sie unterstreichen immer wieder dass viele Formen kommunalen Lebens zerstört wurden, und nennen dabei auch die Häretiker mit ihrer polygamen Sexualität oder Frauenräume der Heilung und der Magie.
Die magischen Praktiken mit denen viele BürgerInnen im Mittelalter zu tun hatten, repräsentierten eine Form von Gegenmacht, weil sie den Menschen eine Form von Kontrolle über ihre Existenz gaben, die für den sich entwickelnden Nationalstaat gefährlich war. In manchen Fällen wissen wir heute, dass diese Kräfte real waren. Frauen waren die Heilerinnen der Gemeinschaft im Mittelalter, und wir wissen, dass sie ein großes Wissen hatten, das bis heute in der Medizin benutzt wird. Außerdem halfen sie anderen Frauen, Kinder zu gebären oder zu verhüten. So stellten sie eine soziale Kraft in der Gemeinschaft dar, die der Staat kontrollieren und brechen wollte.
Wie kann man diese Praktiken heute noch als Gegenmacht denken? Ist das realistisch oder, polemisch gesagt, nicht etwas eskapistisch?
Sicher stellen magische Praktiken auf dem Grassroots-Level nicht mehr die gleiche Bedrohung dar wie zu einer Zeit, als sich der Staat noch in der Bildung befand und erst begann, seine Kontrolle über seine Einwohner auszuüben. Es ist jedoch wichtig, anzumerken, dass in den letzten zwei Jahrzehnten, beispielsweise in Afrika und Indien, die Hexenjagd zurückgekehrt ist. Dazu gab es den Zuwachs von satanischen Bewegungen. Es ist bisher wenig erforscht, welche Rolle ökonomische Faktoren in diesen Entwicklungen gespielt haben. Ähnlich ist es bei evangelikalen Sekten, deren Menge und Einfluss in der gleichen Zeit stark zugenommen hat. Es ist eindeutig, dass die Ideologie, die die derzeitigen Hexenjagden beeinflusst, von diesen Sekten stark promotet wird.
Ein wichtiger Begriff, der heute wieder viel Aufmerksamkeit erfährt, ist der der Commons. Sie sprechen von dem Commons des Mittelalters.
Kommunale Formen der Arbeit und des Zusammenlebens haben weltweit seit jeher existiert. Auf die Commons beziehe ich mich in meiner Arbeit als das Gemeinsame, das sich im mittelalterlichen Europa des Feudalismus entwickelt hat auf der Basis eines geteilten Gebrauchs von Land und von anderen natürlichen Ressourcen, die der Adel den Bauern zusprach im Tausch gegen Arbeitskraft. Dieses Gemeinsame, das Felder, Weiden, Teiche und Ödland einschloss, war die materielle Basis für eine intensive kommunale Existenz, in der Arbeit großenteils kollektiv verrichtet wurde, da die Entscheidungen über Saat und Ernte gemeinsam getroffen wurden. Die mittelalterlichen Commons und die Bauernversammlungen waren weiterhin ein wichtiger Ort; die Sozialität insbesondere von Frauen und die Aufteilung der Arbeit waren weniger rigide als im folgenden Kapitalismus. Das heißt aber nicht, dass die mittelalterlichen Commons vollkommen egalitär waren. Differenzen existierten zum Beispiel je nach der Menge von Land, die ein Bürger neben dem gemeinsam gebrauchten Land zur Verfügung hatte.
Was verbindet die damaligen "Commons" mit den heutigen?
Heute meinen wir mit den Commons etwas, was wir produzieren, ob beim Urban Gardening oder im Internet. Was allerdings damals wie heute relevant ist, sind der gemeinsame Entscheidungsprozess und die Form der Versammlung als eine Regierung von unten. Es existiert derzeit eine große Debatte darüber, was die Commons konstituiert und ob die Commons eine Basis sind für eine Form nichtkapitalistischer, egalitärer Produktion. Auch wenn die Diskussion, worauf diese Commons basieren sollten, noch sehr aktiv ist, gibt es Einigung darüber, dass Commons die gleichberechtigte Teilung von Reichtum bedeuten und auf einer Gemeinschaft basieren, die die Verantwortung dafür übernimmt, mit Ressourcen bewusst umzugehen.

Silvia Federici: "Caliban und die Hexe. Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation". Aus dem Engl. v. Max Henninger. Mandelbaum Verlag, Wien 2012

Biografien 


Nils Amadeus Lange 
geboren in Köln und lebt in Zürich. Er arbeitet als Performer und Choreograph. Er studierte Theater an der Hochschule der Künste in Bern, wo er auch sein Masterstudium mit Vertiefung Performative Künste absolvierte. Er arbeitete an Theaterproduktionen in Basel, Berlin, Bern, Köln, Heidelberg und Theater an der Ruhr. Seine Arbeiten wurden an diversen Orten gezeigt, u.a. an der Schweizerischen Tanztagen, Zürich moves!, ZÜRICH TANZT, Venedig Biennale, Berliner Festspielen, Kunsthalle Bern, Les Urbaines Lausanne, Theater Spektakel Zürich, „AUAWIRLEBEN“ Festival Bern, Theater Discounter Berlin, Skena up festival Prishtina, Südpol Luzern, Perla Mode Zürich, Tanzhaus Zürich. Nils arbeitete u.a. mit Ivo Dimchev und Viviane de Muynck zusammen und kollaboriert mit den Künstler_innen Annina Machaz und Teresa Vittucci.

Nils Amadeus Lange (with Teresa Vittucci)
«U BETTA CRY» (2014)
at Gessnerallee Zürich at Swiss Dance Days 2015

 Annina Machaz 
ist in Zürich geboren und aufgewachsen, nach abgeschlossener Matura hat sie ein Jahr am Schauspielhaus Zürich gearbeitet. Danach erhielt sie ihre Ausbildung an der Hochschule der Künste Bern. Während der Ausbildung wurde sie mit dem Förderpreis Schauspiel von Migros Kulturprozent sowie dem „Best Actors Award“ für die Rolle der Ophelia am International ACT Festival in Bilbao ausgezeichnet. Während des Studiums spielte sie u.a. in der Performance „the Favor“ unter der Leitung von Ivo Dimchev mit, welche u.A zum Festival „AUAWIRLEBEN“ eingeladen wurde. Auch war sie am Kaltstart Festival Hamburg, Skena up Pristhina sowie in der Kunsthalle Zürich mit ihren Arbeiten vertreten. Durch das Masterprojekt ‚Whirlpool’ welches von Francois Chaignaud mentoriert wurde, erlangte sie vermehrt Zugang zum Tanz. Zusammen mit Mira Kandathil und Nils Amadeus Lange gewann sie den Premio-Nachwuchspreis 2014. Ihre Performance „Follow us“ hatte in der Gessnerallee Zürich Premiere und tourte zum Les Urbaines Festival Lausanne, Theatre du Loup Genf, Schlachthaustheater Bern, Theater Roxy Basel und Theaterspektakel Zürich. U.a. spielte sie in der jüngsten Performance ‚Fest’ von und mit Ivo Dimchev mit. Diese hatte am Impulstanzfestival Wien 2013 Premiere. Sie arbeitete am Tanzhaus Zürich und realisierte dieses Jahr gemeinsam mit Nils Amadeus Lange, Florentina Holzinger, Vincent Riebeek und Manuel Scheiwiller das Projekt ‚Jungle’ welches in Koproduktion mit dem Tanzhaus Zürich und dem Arsenic Lausanne entstand.

Annina Machaz (as part of Destiny's Child)
with «Follow Us» at Gessnerallee Zurich, May 2015

Teresa Vittucci
studierte am Wiener Konservatorium, The Ailey School, Salzburg Experimental Academy of Dance (SEAD) und Hochschule der Künste Bern, where she studied with Ivo Dimchev, Viviane de Muynck, Franck Chartier, Ralf Samens and others. She received her MA Theater in Scenic Arts Practice, in 2013 and has been making work since 2010. Her solo work knitterfest (2010), watch (2011), unleash (2012) and her newest work LUNCHTIME (premiere at brut and Zürich Moves! March 2015) continues to capture her interest. Collaborations are also fun and include her working for deRothfils, make make produktionen, Staatstheater Mainz, MilchGänse and others, as well as the collaboration with Nils Amadeus Lange for the creation of U BETTA CRY at Tanzhaus Zürich. Teresa has received the danceWEB scholarship at ImpulsTanz 2013 (mentor Ivo Dimchev), the Foreign Study Scholarship of the Austrian Culture Ministry (BKA) and the TURBO Residency together with M. Turinsky and C. Sobottke (mentors Meg Stuart & Miguel Guiterrez) at ImpulsTanz 2014.

© Jean-Vincent Simonet


Tamer Fahri Özgönenc
ist Komponist und Klanggestalter im Bereich Experimentelles Musiktheater und lebt in Berlin. Er schloss sein Studium mit einem Master of Arts in Sound Studies an der Universität der Künste Berlin, 2011 ab. Özgönenc erhielt Auszeichnungen und nahm an Förderprogrammen durch das Goethe-Institut und ZKM Karlsruhe teil. Ergebnisse von musikalischen Studien wurden bisher in Indien, China und der Türkei präsentiert. Produktionen unter seiner musikalischen Leitung und Mitwirkung wurden u.a. in der Komischen Oper Berlin, Staatsoper Hannover und am Schauspiel Düsseldorf realisiert. Verwurzelt in Köln und Düsseldorf erforscht er darüber hinaus die Schnittstellen von populärer Musik und Computermusik in seiner Band MIT sowie als Produzent und Musiker für DILLON.

Maria Metsalu 
born in Põlva, Estonia and lives and works in Amsterdam. Maria studied modern dance and dance theatre in Denmark and is now studying choreography at the School for New Dance Development in Amsterdam.
She performed in works by Poul Heimer Laursen, Maria Alejandra
Peralta, Hisako Horikawa, Vincent Riebeek (Cummunism, 2013; Cam4ultimate, 2014) as well as in World5 by Juan Pablo Camara and Heaven on Earth by Gertjan Franciscus (2014). For her performing art she was awarded with the DanceWEb scholarship 2014 and the Grand Prix in Youth Festival Estonia (2009). As a choreographer she worked on “arty girlz/borderline” in a collaboration with Samira El Agoz (2014); #deathinstructions at Hew Horizons festival Rotterdam (2014), „Makeout4Ultimate“ at Paris Club Silencio (2014)m at Rotterdam Gall. MAMA, „life and death of maria balkana“ (2014) At School nor New Dance Development, „Ed“ (2013), FLAM Festival, „s-pellegrino“ dance video and „BwoLEDrock“. mariametsalu.tumblr.com

Eike Wittrock
ist promovierter Tanzwissenschaftler und Kurator. Als Dramaturg arbeitete er mit Künstlern wie Jeremy Wade, Johannes Müller, Adam Linder und Peaches, und mit Bildenden Künstlern wie Cosima von Bonin, Danh Vo und Willem De Rooij. Gemeinsam mit Anna Wagner hat er das Julius-Hans-Spiegel-Zentrum für Exotismen in der Tanzmoderne gegründet. Nach seiner Promotion zu Arabesken und dem Ornament im Ballett des 19. Jahrhunderts, arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter ein einem DFG-Forschungsprojekt zur Tanzfotografie im frühen 20. Jahrhundert. Derzeit ist er künstlerischer Mitarbeiter des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel, sowie Jury-Mitglied der Tanzplattform Deutschland 2016.