Gessnerallee
Zürich

Hier finden Sie Zusatzinformationen zur Theaterperformance «Like a Prayer» von Corinne Maier, das 23. und 24. September an der Gessnerallee gastiert.

Corinne Maier © Kenneth Nars

Interview mit Corinne Maier, BZ-Basel, Mai 2015

Frau Maier, ist es vernünftig, heutzutage noch zu glauben?
Corinne Maier: Ich denke Aufklärung und Glauben schliessen sich nicht aus. Es geht eher um die Frage, wie sie zueinanderfinden. Wie kann man in einer aufgeklärten Gesellschaft glauben? Historisch gesehen wurden die grossen Menschheitskatastrophen nicht nur durch Religionsstreite verursacht.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Die grossen Katastrophen des 20. Jahrhundert wie zum Beispiel der Zweite Weltkrieg sind eher durch säkulare Ideologien ausgelöst worden. Ich finde es grundsätzlich spannend, sich zu fragen, ob sich Demokratie und Glauben ausschliessen. Also (lacht): Ich bin absolut für die Trennung von Kirche und Staat, aber trotzdem, muss man das ausschliesslich denken? Könnte es nicht auch andere Formen geben, die beides zusammendenken? Warum ist die Religion aus der Öffentlichkeit verschwunden?

Welchen Stellenwert hat der Glauben in unserer westlich-europäischen Gesellschaft noch?
Ich denke, im Moment findet eine paradoxe Bewegung statt. Einerseits extrem rückläufig, da viele Kirchenaustritte gemeldet werden, andererseits gibt es ein grosses Alternativangebot. Es gibt neue Formen wie die die «Sunday Assemblies», die konfessionslose Menschen zusammenbringen zu einer Art Gottesdienst, aber ohne metaphysische Bezüge.

Widersprechen sich denn nun Religion und Vernunft?
Ich denke nicht, dass sich das widerspricht. Vernunft ist zwar die rationale Instanz, die auf Wissen gründet. Allerdings sehe ich sie nicht als absolute Grösse. Selbst die Wissenschaft ist nicht absolut und beruht auf Erkenntnissen, die widerlegbar sind. Wissenschaft ist ein unendlich währender Prozess. Darum finde ich es absurd, wenn man sich nur auf sie verlässt. Vor 200 Jahren hatte man noch ganz andere Erkenntnisse als heute, und in 200 Jahren werden es wiederum andere Erkenntnisse sein; oder schon morgen. Viele Forschungen beruhen auf Intuition und brauchen spekulative Möglichkeiten. Ich kenne wenige Menschen in meinem Umfeld, die behaupten, dass es nur handfeste Dinge auf der Welt gibt wie diesen Tisch (klopft auf den Tisch) und die Unerklärliches kategorisch ausschliessen.

Woran glauben Sie? Kann man das überhaupt «glauben» nennen?
Was meint man denn mit Wörtern wie Gott oder Jesus oder kosmische Energie, Kraft und höheres Wesen? Hierin liegt vermutlich das Problem, wieso viele sich vor einem Glaubensbekenntnis scheuen. Sie fürchten, missverstanden zu werden. Ich glaube vor allem an eine Auseinandersetzung mit dem Glauben.

Gibt man die Verantwortung für sein soziales Handeln ab, wenn man an ein höheres Wesen glaubt?
Warum sollte das so sein? Darin steckt der problematische Vorwurf: Man gibt die Verantwortung ab und ist politisch nicht mehr aktiv. Man setzt sich nicht mehr für die Verbesserung der Umstände im diesseitigen Leben ein, weil das Jenseitige mit der Poolparty lockt. Dieser Vorwurf ist meiner Meinung nach falsch. Es gibt zum Beispiel die lateinamerikanische, christliche Bewegung der Befreiungstheologie, die politisch aktiv ist. Glauben kann der Antrieb für zielorientiertes Handeln sein. Wenn du beispielsweise im Christentum die Botschaft von Jesus als Handlungsaufforderung verstehst, dann müsstest du sehr politisch sein. Im Gegensatz gibt ja auch genug Menschen, die nicht glauben und sich niemandem verpflichtet fühlen und vielleicht genau aus diesem Grund unverantwortlich agieren. Auch hier gibt es wieder alle möglichen Schattierungen.

Wodurch wurde der Glaube in westlichen Gesellschaften ersetzt?
Es gibt diesbezüglich verschiedene Thesen. Die Konsumthese, die ich allein als Erklärung für die veränderte Stellung der Religion in der Gesellschaft noch nicht hinreichend begründet finde, behauptet, dass der Konsum den Glauben verdrängt hat. Früher war die Religion alternativlos. Jetzt gibt es so viele andere Angebote. Am Sonntag steht nicht die Sonntagsschule im Programm, sondern Fussball, Handball oder sonstige Wettkämpfe stehen an. Die Kirche als Gestalterin von Gemeinschaft und Zeit hat ihre Rolle komplett verloren.

Wie steht’s mit Ostern?
Ostern oder Weihnachten sind beste Beispiele für die Konsumtradition der Feste. Gesamtgesellschaftlich gesehen hat diese Tradition aber mehr Bedeutung für Nichtgläubige gefunden. Ich habe nichts gegen Ostereier.

Warum gibt es keinen Jesus aus Schokolade, was ist da falsch gelaufen?
(lacht) Da gäbe es ein Symbolik-Problem.

Haben Sie Ihre persönliche Antwort auf die Gretchenfrage gefunden? Wie haben Sie’s mit der Religion?
Durch die Recherche ist alles komplexer geworden. Abgesehen von der persönlichen Auseinandersetzung besteht die Schwierigkeit darin, die Fragen auf der Bühne in eine Form zu bringen. Ist es überhaupt richtig, auf die Bühne zu gehen, um dort über Glauben zu reden? Gelangt man auf diese Weise wirklich zu neuer Erkenntnis?

Was möchten Sie dem Publikum vermitteln?
Ich habe keine Mitteilung, die ich im Gesamtpaket überbringen kann. Mir ist es wichtig, dass man entspannte Formen findet, um über das Thema zu diskutieren. Formen, in denen es nicht um Recht oder Unrecht geht, sondern um Interesse und Bedingtheit des Glaubens. Und das, ohne die Freiheit eines Anderen angreifen zu wollen.


Links

Kloster St. Josef im Muotahal
http://www.minoritinnen.ch/?id=3

TagesWoche: Modernes Theater trifft traditionellen Glauben
http://www.tageswoche.ch/de/2015_15/kultur/684940/

Selberdenken, setzen! von Corinne Maier, art-tv auf den Treibstoff Theatertagen
https://www.art-tv.ch/8028-0-Treibstoff-Theatertage-Selberdenken-setzen.html

Corinne Maier an der Gessnerallee Zürich

Past is Present, Corinne Maier und Shaheen Dill, 2014


http://www.spiegel.de/kultur/tv/dokumentarfilmer-shaheen-dill-riaz-zeigt-past-is-present-berlin-a-938052.html

Kurzbios der Beteiligten

Corinne Maier, lebt in Basel, studierte in Hildesheim Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis und arbeitet seither als Regisseurin und Performerin in der Schweiz und Berlin. Sie arbeitete mehrere Jahre lang als Theaterpädagogin und leitete eine Theatergruppe für behinderte Performer_innen. Ihre erste Solo-Lecture Performance ‚Heideggers Auf-der-Bühne-sein’ wurde zu diversen Theater- und Philosophiefestivals eingeladen. Ihre Arbeit ‚Selberdenken, setzen!’, gewann 2011 den Publikumspreis der Treibstoff Theatertage. Corinne ist Mitglied des Kollektivs magic garden, das Anfang 2015 Souvenir am Schlachthaus Theater in Bern herausbrachte. Ihre Produktion Past Is Present ist seit 2013 auf Festivals in Europa unterwegs. Ebenfalls 2013 inszenierte sie für das wildwuchs Festival in Basel The Only Real Fucking Is Done On Paper, ein Stück über das Reden über Sexualität.

Julia Bihl studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim, sowie Choreographie in Dartingto. Seit 2008 arbeitet sie als Schauspielerin und Regisseurin in Deutschland, der Schweiz und Lichtenstein. Sie ist Mitbegründerin und künstlerische Leitung der Kompanie Kopfstand. Ihre letzten Regiearbeiten waren „Knus“ , „Bon Voyage“, „Feiern bis zum Umfallen“, „Morels letzter Sommer“. Von 2009 – 2011 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am IPF der ZHdK im Bereich künstlerische Forschung und entwickelte neben einer Publikation („Ästhetische Kommunikation im Kindertheater“) die performative Installation „Der Zuspieler“ an der Gessnerallee Zürich.

Johannes Dullin, zog 2000 in die Schweiz und studierte an der Scuola Teatro Dimitri, die er 2004 abschloss. Er ist Mitbegründer und künstlerischer Leiter von Banality Dreams (Performance) sowie Mitbegründer der Authentic Boys (Film und Bildende Kunst). 2004 - 2012 verschiedene Regiearbeiten und Projekte in Mexiko City, Oslo, Berlin, Verscio, London, Rotterdam, Köln und Stuttgart. Sein Film „Threesome“ erhielt 2011 den Förderpreis bei den Kurzfilmtagen in Winterthur. Seit 2011 arbeitet er als Soloperformer sowie als Schauspieler in Zusammenarbeit mit Lubrikat, Martin Clausen und Patrick Wengenroth.

Bernhard Frederik la Dous studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig- Universität in Giessen. Seit 2013 lebt er in Berlin und arbeitet als Sounddesigner und Regisseur. Like a prayer ist seine vierte Zusammenarbeit mit der Regisseurin Corinne Maier. Er ist festes Mitglied des Düsseldorfer Performance-Kollektivs Lukas und. 2013 realisierte er zusammen mit Ferdinand Klüsener seine erste Hörspielproduktion Spiel im Halbdunkel für den WDR Köln.

Valerie Hess, Studium der Innenarchitektur und Szenografie an der HGK Basel. Nach einer festen Bühnenbildassistenz bei Ricarda Beilharz war sie 2006 - 2008 Buühnen- und Kostümbildassitentin am Thalia Theater in Hamburg. 2008 Mitbegründerin von Emyl - Innenarchitektur und Szenografie Basel. Seither entstehen gemeinsame Arbeiten für namhafte Institutionen im Bereich Architektur, Ausstellungsgestaltung und Szenenbild. www.emyl.ch.

Johanna Höhmann studierte bis 2010 in Hildesheim Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis. Verschiedene Hospitanzen und Assistenzen in Theaterpädgogik, Regie und Dramaturgie am Maxim Gorki Theater Berlin sowie am Deutschen Theater Berlin. Noch während des Studiums begann ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur Wojtek Klemm, mit dem sie sowohl in Polen, als auch an der Berliner Volksbühne zusammenarbeitete. 2011/12 arbeitete sie als Dramaturgin am HAU und war dort insbesondere für das 24 Stunden Projekt 'Unendlicher Spaß' mitverantwortlich.

Kris Merken studierte Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus Liebig Universität Gießen. Er arbeitete als Dramaturg, Konzeptionist und Texter zusammen mit verschiedenen Regisseur_innen und Theater-Kollektiven, wie Boris Nikitin, Corinne Maier, Dirk Cieslak (Vierte Welt), Christoph Gosepath (ctp), CapriConnection, Monster Truck, SCART, u. a.

Franziska Schmidt, studierte Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und Kulturmanagement an der Universität Basel. 2006 - 2011 war sie als Kommunikations- und Produktionsleitung für CULTURESCAPES tätig. Für die Ausgabe wildwuchs 2013 übernahm sie die Geschäftsleitung. 2013/2014 arbeitete sie als Direktionsassistenz im Kunsthaus Baselland. 2011 gründete sie das Produktionsbüro stranger in company und ist seither freiberuflich als Produktionsleitung für Produktionen von Corinne Maier, Marcel Schwald, Kiriakos Hadjioannou, Lorenz Nufer sowie bei Festivals tätig.

Gernot Wöltjen studierte Kulturwissenschaften und ästhetischen Praxis in Hildesheim und arbeitet seither als Videokünstler, Filmemacher und Medienpädagoge. Videoarbeiten in Theaterperformances von Turbo Pascal und Fräulein Wunder AG. Dokus, Musikvideos oder Imagefilme für das ZDF, arte, Sophiensaele, das Kinder- und Jugendbüro Steglitz-Zehlendorf, Kammerspiele München. Seit 2010 ist er Dozent für AV-Medien bei der Berufsfachschule Best Sabel Design. Als Medienpädagoge leitet er Filmprojektwochen und Mediencamps.