Gessnerallee
Zürich



© Liliane Koch

Mehr Informationen und Material zu «Leopardenmorde» von KURSK, Premiere 20.10.2016

Im Gespräch mit K.U.R.S.K.
Timo Krstin (TK), Liliane Koch (LK), Lukas Sander (LS), die Musikerin Rosanna Zünd ist abwesend

Anke Hoffmann (AH): Worum geht es in «Leopardenmorde»?

TK: Es geht darum, dass ich als Kind ein Romanmanuskript auf dem Dachboden gefunden habe, das mein Grossvater geschrieben hat - das ist eine wahre Geschichte - als er in den 1920er Jahren als deutscher Kolonialherr in Afrika war und dort Sisal angebaut hat. Er hat dort einen Roman geschrieben, in dem er das Verhältnis zwischen Afrikanern und Weissen beschreibt und den Übergang von deutscher zu britischer Kolonialherrschaft.
Ursprünglich dachten wir, es wäre total interessant, die Blicke auf das Verhältnis von Weissen und Afrikanern von vor 100 Jahren und heute zu vergleichen - heute vor allem in Bezug auf Nordafrikaner in Deutschland oder auch Eritreer hier in der Schweiz, die in der Berichterstattung häufig als Bedrohung gezeichnet werden. Das war der ursprüngliche Gedanke. Dann fanden wir in unserer Recherchearbeit aber spannender, dass der Grossvater in seiner rassistischen Ideologie extrem zwischen «rechts» und «links» gependelt ist. Er war Faschist und später überzeugter Friedensaktivist in der BRD. Das hat uns in Bezug auf unsere heutige Zeit interessiert, weil wir es so wahrnehmen, dass die Protestbewegungen in den 1990er Jahren mehrheitlich links strukturiert waren und heute vermehrt von rechten Gruppierung okkupiert werden. Das fanden wir interessant an der Biografie des Grossvaters und an seinen Texten - wir haben sehr viele davon gelesen - wie er einerseits den auch heute grassierenden Rassismus im Umgang von Weissen und Afrikanern behandelt und genauso die Unschärfe zwischen rechts und links vorwegnimmt.
Also wer oder was ist Pegida eigentlich? Da ist ganz viel klassisches linkes Wählerpotenzial. Daher ist unsere These: entweder sind das alles linke Bewegungen, man bezeichnet sie nur als rechts - oder vielleicht waren es schon immer rechte Bewegungen und wir haben uns vorgemacht, das wir keine Rassisten wären. Solche Fragen untersuchen wir anhand der Texte, die mein Grossvater geschrieben hat und spielen das in einem Stück, das einer Krimilogik folgt, um herauszufinden, wer und was er wirklich war.
LK: Der Grossvater steht auch für eine Figur, die beispielhaft zeigt, wie Menschen sich bessern können. Er war auf der einen Seite ein ranghoher Nazi und auf der anderen jemand, der nach dem Krieg mit wehenden Fahnen dafür eingetreten ist, dass man sich als Deutscher für nichts anderes mehr einsetzen kann und darf, als für den Weltfrieden. Dafür haben wir die Reden, die er für die Deutsche Friedensunion gehalten hat, immer wieder gelesen. Die sind so überzeugend und gut geschrieben, dass man erstmal geneigt ist, dem zu glauben. Und wir fragen uns: Geht das? Kann man sich wirklich in dem Masse verändern?
LS: … Wer ist dieser Mensch? Glaubt man ihm diese Veränderung? Glaubt man sich selbst und wer sind wir?
LK: Es geht nicht in erster Linie um den Grossvater, sondern es geht um die Figur dieses Grossvaters und dem Pendeln zwischen politischen Extremen. Das, was wir da versuchen, funktioniert sehr parabelhaft.

AH: Ich nehme an, du hast deinen realen Großvater nie kennengelernt… ?

TK: Ja, dieser Grossvater ist eine völlig geisterhafte Figur für mich, denn er ist 1895 geboren und hätte eigentlich mein Urgrossvater sein sollen und er ist 1978, also vor meiner Geburt, schon gestorben.

AH: Und was hat ihn nach Afrika gebracht?

TK/LK: Einfach Abenteuerlust. Das war damals bereits Tansania, nicht mehr Deutsch-Ostafrika. Aber die Diskussionen und ideologischen Kämpfe um eine mögliche deutsche Kolonie in Afrika liefen noch und er war dort als deutscher Patriot in Ostafrika, als Sisal-Pflanzer in Tansania, von 1925 bis 1931.

AH: Warum ist er dann zurückgekommen?

TK: Weil er pleite gegangen ist. Sisal ist ein sehr interessantes Produkt. Kurzfristig war es damals extrem wichtig, weil es in der Kriegsindustrie für die Schiffsseile gebraucht wurde. Und das führte zu einem richtigen Sisalboom und viele hofften, davon zu profitieren. Aber kurz vor dem Krieg hatte man Nylon entdeckt und damit verschob sich der Handel komplett und viele sind pleite gegangen.

AH: Solche Biografien stehen ja für die Geschichte des 20. Jahrhunderts …

TK: … also ich würde behaupten, dass er mit seiner Biografie das komplette 20. Jahrhundert abdeckt. Und das auf einer Ebene der umgekehrten Geschichte, also keine Geschichte „von oben“ sondern im Sinne dieser Strassenkampflogik. Er war auch als Nazi in dieser Strassenprotestbewegung verankert und hat sich da immer zuhause gefühlt, er hat es später immer so hingestellt, dass er sich von dem sozialistischen Programm der Nationalsozialisten angezogen gefühlt hat, das aber nie richtig verwirklicht wurde. Er hat sich in extrem kurzer Zeit bei den Nazis hochgearbeitet. War erst in der SA und dann später in der SS.
Nach dem Krieg war er Protagonist in der Friedensbewegung. Daher ist seine Biografie stellvertretend für das 20. Jahrhundert eine Geschichte von unten, so gesehen.

AH: In eurer Aktualisierung seiner Stellvertreter-Biografie geht es auch darum, mit welchen einfachen Logiken und verbalen Behauptungen Massen zu beeinflussen sind, also um Populismus?

TK: Das ist sein Hauptberuf gewesen…
LK: ... er war Propagandaredner ... Er hat zwar als Sisalplantagenbesitzer zeitweise sein Geld verdient: Er war als deutscher Kolonialherr für sechs Jahre (1925 – 1931) in Ostafrika, Tanzania, damals hiess es noch Tanganjika und eben nicht mehr Deutsch-Ostafrika. Er war von seinem Selbstverständnis her aber hauptsächlich Künstler und Schriftsteller. Deswegen war er als Propagandaredner in verschiedenen Parteien so erfolgreich, weil er gut schreiben konnte. Er hat es verstanden, sein künstlerisches Talent politisch zu nutzen. Aber mit dem Roman und den Märchen (die wir auch gefunden haben) hat er es nicht so weit geschafft wie mit seinen politischen Reden.
LS: Diesem Umstand verdankt es sich auch, dass unser Stück teils ein Recherchenprojekt ist und auf der anderen Seite mit literarischen Quellen arbeitet und eine literarische Form sucht.

AH: Das wäre jetzt genau meine Frage. Ihr habt angefangen mit diesem Romanmanuskript und euren Fragen nach den Parallelen einer historischen Biografie und einer Befragung heutiger Verhältnisse. Wie nähert ihr euch an?

TK: Die Struktur ist eigentlich ganz einfach. Ich erzähle die Geschichte und parallel dazu gibt es die Geschichte all der Demos auf denen ich gewesen bin - das war auch der Grund, warum man mich mit ihm vergleichen hat, weil ich auf Demos öfter Reden gehalten habe … Wir reflektieren stilisiert die Demobewegungen der späten Bundesrepublik bis hin zu Pegida, von links nach rechts, und versuchen im Blick von der Grossvater-Geschichte Aussagen darüber treffen zu können, warum viele heutige Protestbewegungen, wieder so stark ins Rechts-Nationale kippen.

AH: Gibt es da auch Parallelen zur Schweiz? Gerade in Bezug auf national-konservative Bewegungen, die ja auch hier sehr populär geworden sind.

TK: Ich finde, wenn wir es schaffen eine interessante Aussage zu treffen, dann ist die auch auf die Schweiz anzuwenden.
LK: ... zumal ja in ganz Europa rechte Bewegungen auf dem Vormarsch sind. Es geht wieder um Nationalismus und Abgrenzung von anderen nationalen Identitäten. Insofern ist es kein prinzipiell deutschen Stück, auch wenn es um eine deutsche Biografie geht und wir im Team mehrheitlich Deutsche sind.
Ausserdem wichtig: Die Schweizerin in unserem Team– die Musikerin und Komponistin Rosanna Zünd – ist heute zum Interview nicht dabei. Sie ist verantwortlich für das musikalische Konzept von „Leopardenmorde“.

AH: Inwieweit spielt ein Vergleich der historischen Kontexte eine Rolle, der damalige und der heutige gesellschaftliche Kontext eine Rolle?

TK: Wesentlich dazu ist die Frage nach seinem Blick von damals auf Menschen aus Afrika und dem heutigen. Das ist ja auch ein ganz wichtiges Thema für die Schweiz. Wo gibt es da Parallelen oder vererbte Gedanken? Und ist das, was in seinem Afrikaroman steht und jetzt immer noch - und wieder - salonfähig ist, wenn Björn Höcke (AfD) eine Rede darüber hält, dass „der Afrikaner“ den „Ausbreitungstypen“ verkörpert und viele Kinder produziert, während "der Europäer" weniger Kinder hat und somit in Zukunft immer mehr an Präsenz verlieren wird, einfach unser kulturelles Erbe oder mehr als das?
LS: Hin zu der Frage, ob sich vermeintliche politische Gegner nicht näher stehen in ihren Überzeugungen, als man erst gedacht hätte. Da gibt es ja genug Beispiele - damals wie heute - für ehemals Linke, die zu überzeugten Rechten werden.
TK: ... und er hatte sogar einen Plan - das haben wir erst in der Recherche wirklich herausgefunden - wie er sein Gedankengut an seine Enkel vererben wollte. Das hier als Teaser.

Biografien der Künstler*innen:

Timo Krstin
wurde 1980 in Lindau am Bodensee geboren. Es folgten zahlreiche Schul- und Hochschulabschlüsse und einige Jahre als Regieassistent und Regisseur an den Theatern Mainz, Heidelberg und Karlsruhe. Zuletzt absolvierte ein Regiestudium an der ZHdK in Zürich, das er 2013 mit dem Master abschloss. Inszenierungen am Theater Heidelberg, Staatstheater Mainz, Staatstheater Karlsruhe und in der Freien Szene Zürich. Träger des Stuttgarter Autorenpreises, Einladungen zu Festivals und zum Körber Studio Junge Regie 2014. Außerdem arbeitet er als Autoren-Coach an der UniT in Graz und veröffentlicht regelmäßig Gedichte in Literaturzeitschriften und Anthologien. An der K.U.R.S.K. war er von Beginn an als Autor und Regisseur beteiligt. Zum ersten Mal als Autor des Initialstücks Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk durch den Feigling Steven Jobs, dann bei der Begründung des Kurskismus, der als literarisch politische Bewegung seit einem Jahr in Zürich virulent ist und dem bereits die Sonderausgabe eine Literaturzeitschrift gewidmet ist.


Liliane Koch
geboren 1989 in Fulda, studierte an der ZHdK in Zürich Dramaturgie und macht nun ihren Master in der Angewandten Theaterwissenschaft in Giessen. Vor dem Studium nahm sie an dem Projekt TheaterTotal teil und arbeitete im Anschluss eine Spielzeit lang als Regieassistentin am Schauspiel Dortmund. Liliane Koch versteht sich selbst als Theatermacherin und Performancekünstlerin. Ihre Arbeiten bewegen sich zwischen Theater und Aktion, zwischen Politik und Kunst. So arbeitet sie seit 2011 regelmässig mit dem Kollektiv neue Dringlichkeit zusammen, mit dem sie mehrere Projekte realisierte. Zusammen mit Maude Vuilleumier und ist Koch Gründungsmitglied des Kollektivs der grosse tyrann, mit dem Made of Steele, eine feministische Bearbeitung von 50 Shades of Grey entstanden ist. Für ihr Bachelor-Abschluss Projekt Die Massnahme – Eine Probe, kollaborierte sie mit mit Christopher Kriese und Rosanna Zünd. Mit Timo Krstin und Lukas Sander (K.U.R.S.K) arbeitete sie 2013 zum ersten mal bei dem Stück Die Versenkung des Atom-U-Boots Kursk durch den Feigling Steven Jobs zusammen, was zum Premières-Festival in Karlsruhe und dem Körber-Studio Junge Regie eingeladen wurde.

Lukas Sander
geboren 1983 in Berlin (West), studierte Szenografie und Ausstellungsdesign an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe mit Diplomabschluss und ist gegenwärtig im Masterstudiengang Theater, Leitende Künstler, Vertiefung Bühnenbild an der Zürcher Hochschule der Künste. Vor und während dem Studium arbeitete er in unterschiedlichen Departements wie Kamera, Ausstattung und Schnitt bei Spielfilmen, sowie als Cutter im Dokumentarfilm. Seit 2008 arbeitete er auch als Bühnen- und Kostümbildner (am Badischen Staatstheater Karlsruhe, Theater der Künste Zürich und Theater Luzern) und als Bühnenbildassistent am Schauspiel Frankfurt und dem Opernhaus Zürich. Daneben entstanden in freien Arbeiten diverse Sound- und Videoinstallationen sowohl im theatralen als auch musikalischen Kontext, sowie die kuratorische Konzeption und künstlerische Mitarbeit an Ausstellungsprojekten. Lukas Sander lebt und arbeitet zur Zeit in Zürich.

Rosanna Zünd
geboren in Winterthur. Ihre musikalische Ausbildung erhielt sie in Klavier, Akkordeon, Gesang und Komposition. Derzeit studiert sie im Master Komposition für Film, Theater und Medien bei Till Löffler und Niki Reiser und ist Mitglied der Klasse für Freie Improvisation von Lucas Niggli. Sie komponiert für Konzert- und Theaterbühne und arbeitet an diversen Filmprojekten (zuletzt Zeitfestival Zürich, Theater der Künste Zürich, Theater St. Gallen). Seit 2011 ist sie Mitglied der Folk-Band Croque Monsieur. Rosanna Zünd ist Preisträgerin des Peer-Raben-Music-Award im Rahmen des SoundTrackCologne13 für die beste Filmmusik in einem Kurzfilm (letzte Spuren, Regie: Oliver Rogers/Norbert Kottmann).