Mehr Informationen zu Thom Luz und »Unusual Weather Phenomena Project» (11. - 14. Mai 2016)
«So betörend kann Nicht-Verstehen sein» (Süd-Ost-Schweiz 2016)
© Tabea Hüberli
Review aus nachtkritik.de:
In der Wolkenwaschanlage (von Christoph Fellmann)
Zürich, 10. März 2016
Er hätte es gerne gehabt, das Wetter hätte auch mal über uns geredet. Dabei war William R. Corliss ein Physiker; nur eben, dass ihm im Verlaufe seiner Arbeiten der Glaube an die Naturgesetze abhanden kam. Ungültig seien sie, meinte er, und blieb folglich auch der Feier fern, an der ihm 1988 in London ein Anerkennungspreis der königlichen Gesellschaft für Geografie hätte übergeben werden sollen. Und hier nun, an dieser edel gerahmten Leerstelle, setzt der neue Theaterabend von Thom Luz ein, dieses skurrile, betörende "Unusual Weather Phenomena Project". Es ist die erste freie Arbeit des Zürchers seit dem gefeierten "When I Die", das drei Jahre nach der Premiere immer noch auf Tournee ist. Die Uraufführung geht in seiner Heimatstadt über die Bühne der Gessnerallee.
Und wie in "When I Die" geht es auch diesmal um eine wissenschaftlich verbürgte, wenn vielleicht auch etwas spinnerte Person. Erzählte Luz damals über Rosmary Brown, die in langen nächtlichen Geisterséancen bisher unbekannte Musik von Franz Liszt, Franz Schubert oder Wolfgang Amadeus Mozart channelte, so widmet er sich diesmal nämlichem William R. Corliss (1926–2011), der Berichte über seltsame Naturphänomene sammelte und zu rund dreißig Büchern zusammenfasste, die zum Beispiel "Mysteries of the Universe" oder "Strange Life" hießen. Corliss fand nicht nur, das sei "eine sinnvolle Art, das Leben zu verbringen" – nein, der amerikanische Wissenschafter wurde für sein "Handbuch über seltene Wetterphänomene" (1974) schließlich auch bekannt.
Als dieser Corliss auf der Bühne nun nicht erscheint, um seinen Preis nicht entgegenzunehmen, da spielen sich eine Musikerin und zwei Musiker in Frack gerade ein, auf Posaune, Geige und Trompetengeige, und dazu rauschen verwaschene Stimmen von einem Spulentonband. Anstelle des Jubilars erscheint ein Ritter, nicht irgendeiner, sondern der, der 1358 vor den Toren von London vom Blitz getroffen wurde, nachdem er ausgeritten war, um die nahenden Gewitterwolken zu bekriegen. Keine besonders sinnvolle Art, das Leben zu verbringen, denkt man, gerade auch unter Berücksichtigung des metallenen Mannskleids – bis man erfährt, dass der Ritter den Blitzschlag in einer Art von Wachkoma über- und noch mehrere hundert Jahre lebte. Nun spielt das kleine Orchesterchen, und der Ritter singt mit Georg Friedrich Händel über den ach lieblichen Schatten der Natur.
Klingt selber spinnert? Muss es. Denn dieser Abend spielt im Zwischenreich der Parawissenschaft, in dem die Ratio jenem armen Menschen gleicht, der in dem Haus ohne Türen eingesperrt lebt, von dem auf den Texttafeln einmal erzählt wird. Wir sehen eine Wolke, die mit Nebel abgespritzt wird und als Ballerina zurückkehrt. Wir hören ein Keyboard, das Mondphasen spielt, und einen A-cappella-Chor, dem die Lieder und Sprachen durcheinandergeraten. Wir sehen Wetterballone steigen und hören die "seltsamen Naturgeräusche", die sie auf Tonbändern hinter sich her und durch die alten Abspielgeräte ziehen. Es ist eine verspulte Musik voller Leerstellen und eigenartiger Echos, die Martin Hofstetter an den Geräten eingerichtet hat – ein flüchtiges Wetterklingen, das Mara Miribung, Michael Flury und Mathias Weibel an ihren Instrumenten subtil anreichern und umspielen.
Wie sich diese unkonkrete Musik immer wieder materialisiert und verdichtet, das ist die Sensation dieses Abends. In fast schon psychedelischen Verläufen zieht sie einen tief hinein in dieses Universum der unwahrscheinlichen Phänomene, der seltsamsten Erscheinungen, des aufwärts fallenden Regens, der vierfachen Sonnenuntergänge oder verrückten Jahreszeiten. Und doch glaubt man immer auch, im unendlichen Tic-tic-tic der Tonbandrollen, den Wahnsinn leise anrollen zu hören. Und jeden einzelnen Menschen zu sehen, der im Bestreben, das Leben auf sinnvolle Weise zu absolvieren, die unwirklichsten Dinge anstellt. Einen Theaterabend komischem Wetter zu widmen, beispielsweise. Und das alles nur, um dann doch als Ritter in Unterwäsche dazustehen und, während schon der Donner zu hören ist, eine Hymne in den Himmel zu schicken: Evelinn Trouble singt ein zum Sterben schönes "Chorpus Christi Carol" von Benjamin Britten.
Thom Luz (Cover ZüriTipp)
Beteiligte Künstler_innen
Thom Luz
Inszenierung, Raum und Autorenschaft
1982 in Zürich geboren, wohnhaft ebendort. Freischaffender Regisseur, u.a.
Gessnerallee Zürich, Kaserne und Theater Basel, Staatstheater
Oldenburg, schauspielhannover. Seine Produktionen gastierten u.a. an
den Recklinghauser Festspielen, den Autorentheatertagen des DT,
premières Festival Strassbourg, Heidelberger Stückemarkt, Mühlheimer
Theatertage, lokal festival Reykjavik. 2014 wurde er vom theater heute
zum Nachwuchsregisseur des Jahres gewählt, 2015 wurde seine
Inszenierung Atlas der abgelegenen Inseln ans Berliner Theatertreffen
eingeladen.
Mathias Weibel
Musikalische Leitung/Musiker
Geboren 1963 in Bern, lebt in Zürich. Spielt sowohl moderne als auch
barocke Violine und ist in den verschiedensten Musikstilen zu Hause. Er
studierte in Bern, Florenz und Wien und spielte in verschiedenen
Ensembles wie Capilla Reial de Catalunya, Hesperion XX und La Folia
Madrid. Mathias Weibel ist Gründungsmitglied des Ensembles Turicum,
Mitglied des Kammerorchesters Basel und Leiter des Streichorchesters
arcobaleno Zürich. Am Schauspielhaus Zürich wirkte er in Stücken von
Christoph Marthaler als Musiker mit. Mathias Weibel war bei fast allen Stücken von Thom Luz als musikalischer Leiter und/oder Bühnenmusiker beteiligt.
Mara Miribung
Musikerin, Schauspiel
Née à Bolzano, en 1981, Mara commença à pratiquer le violoncelle dès l'âge de huit ans. De 2006 à 2010, elle travaille régulièrement avec l'Ensemble Orchestral Kananzawa au Japon, et depuis 2009, elle est remplaçante permanente à l' l'Orchestre Kammer de Bâle. Elle pratique aussi activement la musique de chambre, et donne des concerts en Europe, Amérique du Sud et Asie.
Mara a pris part aux festivals de jazz jazzWerkstattWien, JazzWerkstattBern, et résidé à l'Ecole Jim Summer pour Improvised Music Salzburg. En 2009, elle se rend quatre mois à Buenos Aires, en Argentine, pour y explorer la musique du Tango et de la danse. Jusqu'en 2010, Mara vit en Suisse, où elle travaille comme musicienne indépendante, dans un large domaine de pratiques : classique, baroque, jazz, tango,et enseignante. Parallèlement, elle complète sa formation par un Master de violoncelle baroque à la Schola Cantorum de Bâle, avec Christophe Coin.
Michael Flury
Musiker, Schauspiel
Geboren 1983, lebt als freischaffender Musiker in Zürich und Hamburg.
Im Anschluss an die Matura studiert Michael Flury an der Hochschule für
Musik und Theater Zürich HMT Z bei Nils Wogram Jazzposaune.
Während seines Studiums ab 2003 ist er Mitglied des
Bundesjazzorchester Deutschland BuJazzO unter der Leitung von Peter
Herbolzheimer. Ausserdem wirkt er als Musiker am Schauspielhaus
Zürich bei der Inszenierung Richard II in der Regie von Elias Perrig mit.
Ab 2004 stellt sich zusammen mit verschiedenen Bands wie Kalabrese,
King Kora, Kung Fu Horns, Jean-Paul Bourelly eine rege Konzerttätigkeit
ein. 2006 wird er mit einem Stipendium der Friedl-Wald Stiftung
ausgezeichnet, was ihm einen Studienaufenthalt in New York ermöglicht.
Im gleichen Jahr schliesst er sein Studium mit dem Lehrdiplom ab.
Michael Flury ist von 2006 bis 2012 festes Mitglied der Band von Sophie
Hunger. Im Herbst 2012 erscheint das vierte Album „The Danger Of
Light“. Im selben Jahr inszeniert er in einer Auftragsarbeit am Museum
Rietberg für die Ausstellung „Chavin - Perus geheimnisvoller Anden-
Tempel“ eine Klanginstallation. Seit 2013 spielt er mit Stephan Eicher.
Evelinne Trouble
Musikerin, Schauspiel
geboren 1989 als Linéa Racine stammt aus Zürich und ist die Tochter einer Jazzmusikerin. Unter dem Namen Evelinn Trouble war sie zuerst Sängerin des Lolita-Punk-Trios Lorry tätig. Ihr erstes Album Arbitrary act (2007) veröffentlichte sie als Maturaarbeit und spielte dafür alle Instrumente selber ein.
Ihre Konzerte im Jahr 2007 spielte sie zumindest teilweise als "Evelinn Trouble and the Rainy Days" mit der Zürcher Gruppe Fisher. 2008 veröffentlichte sie als Internet-Download Ms. Trouble's secret EP mit sechs Liedern, darunter das von Sophie Hunger geschriebene "Birthday". Im Januar 2009 veröffentlichte sie mit ihrer Live-Gruppe, den Trespassers, für Lofidogma das Lied "Wrong shape". Im Oktober 2009 veröffentlichte sie das Lied "Warface", mit dem sie die Gruppe Schweiz ohne Armee / GSoA anlässlich der "Initiative für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten" unterstützte (2009). Ihre Musik siedelt sich zwischen Rock, Blues, Elektro und psychedelischem Pop an. Neben Gitarre und Bass kommen dabei auch alte Synthesizer und jede Menge Effekte zum Einsatz.