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©IrisJanke: Szene UNTIL OUR HEARTS STOP
Pressestimmen:
“Meg Stuart sprengt nicht, aber überschreitet Grenzen in ihrer geschickt komponierten Performance, die zwischen hitzigem Schlagzeug-Allegro und tranceähnlicher Piano-Ruhe pendelt.” (Michael-Georg Müller, NRZ Der Westen)
“Einmal drin, wird man schnell Teil einer freakigen Gemeinschaft, die sich zärtlich kost, magma-artig knuddelt, lustvoll balgt oder zu akrobatischen Fleischtürmen aufbaut.” (Deutsche Bühne, Vesna Mlaker)
“Ein Muss, auch für Fans des Theaters, die sonst mit Tanz nicht so viel anfangen können.” (Juli Tributs, Theater News)
Ein Spiel der Grenzen
Meg Stuart über UNTIL OUR HEARTS STOP
(Auszüge aus Interviews mit Dramaturg Jeroen Versteele während der Proben)
Meg Stuart: Basierend auf meinen Erfahrungen mit Kontaktimprovisation wollte ich einige Ideen über Kontakt und Berührung testen. Davon ausgehend begann ich, über die Haut und über Grenzen nachzudenken. Wo beginnt ein Körper und wo endet er? Was sind unsere persönlichen Grenzen? In welchen Zonen fühlen wir uns frei? Wo ist unser Benehmen absolut erlaubt und wo nicht? Wo können wir unsere Grenzen überschreiten? Außerdem war ich gespannt darauf, wie man eine Art von Intimität in einer Bühnensituation herstellen könnte, auf einer Theaterbühne – nicht in einer Performance in einem Hotelzimmer. Wie kann man dennoch über Intimität und innere Enthüllungen sprechen?
Man sieht Menschen auf der Bühne. Nicht nur Tänzer, die spielen. Man teilt die Fragen dieser Leute, ihre Zweifel und ihre Ängste. Man bekommt nie den vollständigen Anhaltspunkt zu ihren Fragen, sie bleiben irgendwie immer ein Rätsel.
Die Geschichte von Cornelius Gurlitt hat mich von Anfang an inspiriert. Ich war einfach neugierig, wie jemand so durch die Gesellschaft schlüpfen kann – in dem Wissen, irgendwie etwas falsch gemacht zu haben, aber dennoch – auf eine etwas ungesunde Art – soviel Vergnügen an der Kunst und an den Gemälden zu haben ... Ich frage mich immer noch, was Gurlitt mit seinen Gemälden gemacht hat. Offensichtlich gaben sie ihm ein Gefühl von Trost und waren ein Ersatz für Liebe – familiäre Liebe – und sie schützten ihn gegen die Erfahrung des Verlusts. Ich war sehr berührt als er sagte, es war schmerzhafter für ihn, seine Bilder zu verlieren, als seine eigene Mutter. Liebe nimmt seltsame Formen an. Indem wir Extreme betrachten, bekommen wir einen Durchblick zu uns selbst, zu unseren Fantasien,
Ecken und Kanten.
Nach einer Weile begann ich Gurlitt als eine Art von Zauberer zu sehen, der bedeutende Kunstwerke und sich selbst mit ihnen aus der Welt verschwinden lassen konnte. Ich wurde wild auf den „magischen Akt“, auf Illusion, die generell die Basis von Theater ist. Wo ist der Moment, in dem wir glauben? Wie lenken wir unsere Aufmerksamkeit in Vorstellungen? Und wofür benötigen wir wirkliche Magie?
Ich fing mit den Performern an zu untersuchen, was Magie sein kann. Nicht diese großen ausgefallenen Tricks, die man vielleicht von Las Vegas kennt, sondern diese kleinen Momente des Erstaunens und des „wow“. Magie erzeugt eine Art von Wieder-Verzückung oder Wiederverbindung mit den Wundern, die man in der Kindheit erlebt. Wir luden einige Zauberer ins Studio ein. Einer arbeitete mit einem Seil und Münzen, es gab einen Gedankenleser, einen Mentalisten, er hypnotisierte die ganze Gruppe zugleich und versetzte uns in Trance. Wenn man improvisiert und performt, befindet man sich tatsächlich in einer Art Trance. Wir laufen alle mit unseren kleinen Trancezuständen herum. Es geht nur darum, mit welcher Form von Trance der anderen man sich verbinden kann – oder eben nicht.
Es gibt einen Aspekt von Unterstützung und Heilung in dieser Arbeit. Der Körper ist mysteriös. Manchmal, wenn man eine Behandlung oder eine Massage erhält oder jemand berührt einen an der falschen Stelle, kann man anfangen zu weinen oder zu schreien. Wenn wir sagen, der Körper ist ein Gefäß für Erinnerungen, dann wissen wir manchmal nicht, was eingelagert ist und was möglicherweise was auslöst. Und ich glaube an die Selbstheilungskräfte des Körpers. Es gibt dramatische Ereignisse, von denen sich Menschen erholen. Es ist möglich, sich selbst wieder in die Welt zu integrieren. Wir sind soziale Wesen und wir benötigen sozialen Kontakt. Wir brauchen diese konstruierten Möglichkeiten des „Spiels“. Wir müssen soziale Interaktionen beobachten. Das hält uns am Laufen und heitert uns auf.
Manchmal gibt es nicht genug Bereitschaft, albern und kreativ zu sein. Es ist oft nicht genug Vertrauen im Raum. Unsere sozialen Beziehungen sind auf Vorschriften und Ängsten, geradezu, begründet. Es gibt viele Grenzen. Und diese Grenzen – manche Menschen wissen gar nicht, woher diese stammen. Die meiste Zeit in sozialen Beziehungen verbringen die Leute mit dem Verhandeln von Grenzen: Wie nah oder fern stehen wir einander? Wie beantworten wir unsere E-Mails? Es ist alles wie ein Spiel der Grenzen. Warum sagen wir nicht einfach, OK, lasst uns einander vertrauen, lasst uns sagen, was wir wollen, und wenn wir uns nicht danach fühlen, auch nicht. ... Ich wünschte mir, die Menschen würden sich anders begegnen, sogar Fremde.
©Maarten Vanden Abeele: Szene UNTIL OUR HEARTS STOP
Die Performer zu UNTIL OUR HEARTS STOP
Jared Gradinger: Die Erfahrungen mit der Gruppe sind für mich das Wichtigste. Wenn Freunde mich fragen: Wie laufen die Proben? erzähle ich, dass wir einen Tantra- Workshop gemacht haben, der tatsächlich die Art und Weise, wie wir einander berühren und ansehen, verändert hat. Das alles verändert mich völlig, die ganze Arbeit mit Meg, der ganzen Input, den sie uns gibt, euch kennenzulernen – zum ersten Mal ist es „das“ für mich, das Stück zu machen. Es fühlt sich wie ein Wiedererleben der Dinge an, die wir zusammen gemacht haben – es ist eine verrückte Welt mit ihrer eigenen Logik.
Kristof Van Boven: Für mich geht dieses Projekt darum, wie man in der Vergangenheit feststecken kann. Und um das Fehlen eines kollektiven Gewissens. Man holt ein Kaninchen aus einem Hut, aber dann sterben noch immer ganz viele Menschen an dem Tag. Magie ist wirklich nur noch für die „lucky few“. Die klassischen Tricks funktionieren immer, aber vor allem bei Babys. Irgendwann wachsen sie auf und sind nicht mehr zu erschrecken und auch nicht mehr zu bezaubern.
Maria F. Scaroni: Das Neue für mich ist die Wiederkehr der Angst, verletzt zu werden, sich dem wieder und wieder zu stellen und Vertrauen aufzubauen. Es ist eine alte Geschichte, aber man erlebt sie neu, mit neuen Figuren und neuen Spielen, man trägt ein Kleid, einfach, weil es ein Kleid ist, man spielt nicht rum oder kommentiert es, man gehört keinem imaginierten Szenario an, sich dem zu stellen – das ist tatsächlich neu.
Claire Vivianne Sobottke: Wenn man den pornografischen Körper auf dem Bildschirm anschaut, dann ist man als derjenige, der sich das anguckt, immer in Sicherheit. Das ist im Theater nicht so. Ich denke, dass es gut ist, wenn das Publikum sich angegriffen fühlt, gerade wenn es um Intimität geht. Ich finde es lustig, dass auf Englisch „intimacy“ und „intimidating“ so verwandte Worte sind. Intimität ist oft ein krasser Angriff auf die eigene Person. Es kann natürlich auch das Gegenteil davon sein, dass es mit Entspannung zu tun hat, mit Wärme, dass man zusammen liegen kann, reden, zusammen aufhören, das kann auch sein.
Neil Callaghan: Für mich hat diese Produktion viel mit Verlangen zu tun, und mit der Art und Weise auf die Verlangen ausgedrückt wird. Die Bühne ist ein Ort wo man Verlangen entdeckt, sogar wenn man nicht weiß, was es genau ist. Sie ist ein Ort der Empfindlichkeit, der Erfahrung, der Sensualität, es geht um Haut, nicht um Analyse oder Hinterfragung, sondern darum, etwas zu tun, und zu sehen was passiert.
Leyla Postalcioglu: Es geht um Berührung, und nicht nur im körperlichen Sinne. Viele Sachen aus meiner Vergangenheit, die mit Berührung zu tun haben, kommen an die Oberfläche. Jede Berührung löst eine Erinnerung aus. Es ist, als ob ich die 34 Jahre meines Lebens hier in das Stück lege. Es geht um die Art und Weise, auf die wir die Dinge berühren oder nicht, aber auch darum, dass wir nicht imstande sind,
alles anzufassen. Ich würde es lieben, meine Hand auszustrecken und die Außenwelt zu berühren. Es ist unmöglich, mit der Welt in Kontakt zu treten, mit allem, was wir auf der Straße sehen, mit dem, was wir in den Nachrichten sehen. Es gibt ein großes Verlangen nach dieser Art von Kontakt.
Paul Lemp: Meg Stuart und ich kennen uns schon seit 15 Jahren, wir haben schon mehrere Sachen miteinander gemacht. Mir hilft es immer, diese Art von Performance mit zu erfinden und mich darin musikalisch zu finden. Wir fangen mit ganz wenig an, mit Schlagwörtern wie „Big Band“, auch wenn es nachher ein Jazztrio mit Bass, Klavier und Schlagzeug wird. Oder mit einem Begriff wie „Intimität“. Jeder für sich fängt an, mit den wenigen Bausteinen und mit den anderen zu arbeiten, über Monate hinweg, bis man am Ende des Tages ein Stück hat.
Marc Lohr: Am Anfang, in den ersten paar Wochen, war ich super geflasht. Jetzt muss man natürlich konkret auf etwas hinarbeiten. Aber ich glaube, ich bin ein besserer Mensch geworden durch diese Produktion. Weil man einfach mit zehn Menschen täglich arbeiten muss auf so einer intimen Ebene, weil es um das Zwischenmenschliche geht, um Sachen, die man als Musiker auf der Bühne normalerweise nicht so konkret zur Schau stellen würde. Ich würde sagen, das hat mir geholfen. Es hilft, die Virtuosität zu vergessen.
Stefan Rusconi: Stark beruhrt werde ich von den Facetten der Magie, um die es geht – der strahlenden, sich ins Positive ausbreitenden auf der einen, und der dunklen, tief gehenden Energie auf der anderen Seite, die untereinander eine Spannung erzeugen. Berührung ist auch ein großes Thema. Dass ich im Prozess mit auf der Bühne war, das war toll und wertvoll für mich. Denn so konnte ich
erfahren, was das überhaupt heißt, mir selbst eine Form oder Struktur mit meinem Körper in diesem Raum zu geben.
Doris Dziersk: Ein wichtiges Element dieses Bühnenbildes ist die umlaufende Blende, die den Eindruck erzeugen sollte, dass man sich in einem unten liegenden Raum befindet. Meg hatte in einer frühen Phase darüber gesprochen, wie sie bei den Performern gerne die Lust sehen möchte, aufzusteigen. Und um nach oben gehen zu können, muss man unten sein. Ziemlich früh in dem Prozess sind auch die Form einer Raute und die Farbe Lila aufgetaucht. Wir haben uns von Magie inspirieren lassen, von magischen Räumen, von Spielkarten und Tricks.
Nadine Grellinger: Die erste Szene lebt von den Farben, die die Schauspieler tragen. Es stellt sich ein bewegendes Gemälde zusammen, so wie auch im Bild von Ernst Ludwig Kirchner, das man später im Stück sehen wird. Man spürt eine Sehnsucht nach einem Außenraum, nach Leben. Die Farben haben etwas Vitales, so wie die Tänzer auch.
©IrisJanke: Szene UNTIL OUR HEARTS STOP

© Eva Würdinger
Meg Stuart (*New Orleans/USA)
ist Choreografin und Tänzerin und lebt und arbeitet in Berlin und Brüssel. Als Tochter von Theaterdirektoren, begann sie in Kalifornien in frühem Alter zu tanzen und zu spielen und regelmäßig in Produktionen ihrer Eltern von Freunden der Familie zu performen. Ihre ersten Tanzstudien machte sie als Teenager mit Fokus auf einfache Bewegungsaktionen. Stuart beschloss 1983, nach New York zu ziehen und studierte Tanz an der New York University. Sie setzte ihre Ausbildung bei Movement Research fort, wo sie zahlreiche zeitgenössische und Formen der Release-Techniken erlernte und war in der New Yorker Tanzszene aktiv.
Auf die Einladung hin, beim Klapstuk Festival in Leuven (1991) zu performen, schuf sie ihr erstes abendfüllendes Stück «Disfigure Study», das ihre künstlerische Karriere in Europa lancierte. In dieser Choreographie, nähert sich Stuart dem Körper als angreifbare physische Einheit an, die dekonstruiert, verzerrt oder verschoben werden kann, und dabei immer noch spürbar bleibt und Sinn ergibt. Mit einem Interesse an der Ausarbeitung ihrer eigenen Struktur, gründete Stuart 1994 in Brüssel die Compagnie Damaged Goods, um ihre künstlerischen Projekte zu entwickeln. Damaged Goods ist eine flexible, offene Struktur, die die Produktion von stark variierenden Projekten und interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht. Meg Stuart und Damaged Goods haben über dreißig Produktionen erarbeitetet, von Soli bis zu Gruppenstücken sowie ortsspezifische Werke, Installationen und Improvisationsprojekte.
Stuart ist bestrebt, eine neue Sprache für jedes Stück in Zusammenarbeit mit Künstler(innen) aus verschiedenen kreativen Disziplinen zu entwickeln und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Tanz und Theater. Die Verwendung von Theater-Objekten, neben dem Dialog zwischen Bewegung und Erzählung, sind wiederkehrende Themen in ihren Choreographien. Stuarts choreographische Arbeit dreht sich um die Idee eines unbeständigen Körpers, der verletzlich und selbstreflexiv ist. Durch Improvisation, erkundet Stuart körperliche und emotionale Zustände oder die Erinnerungen an sie. Ihre künstlerische Arbeiten steht analog zu einer ständig wechselnden Identität. Sie re-definieren sich ständig selbst auf der Suche nach neuen Präsentationskontexten und Bereichen für den Tanz.
Meg Stuart/Damaged Goods kooperiert oft mit dem Kaaitheater (Brüssel) und dem HAU Hebbel am Ufer (Berlin). Auf Einladung des künstlerischen Leiters Johan Simons, kooperiert Meg Stuart/Damaged Goods von 2015 bis zum 2017 mit der Ruhrtriennale. 2016-2017, tourt Meg Stuart/Damaged Goods mit den Stücken BLESSED (2007), VIOLET (2011), Built to Last (2012), An evening of solo works (2013), Hunter (2014), UNTIL OUR HEARTS STOP (2015) und Shown and Told (2016).
Website Damaged Goods: http://www.damagedgoods.be
Meg Stuart an der Gessnerallee
Bullt to Last, 2014 (Festival Keine Disziplin)
Sketches /Notebook (2015)