Gessnerallee
Zürich

Mehr Information zu «Unschuldig im Glitzerwald» (16.02, 18-20.02, 23.-26.02)


Im Gespräch mit Tobias Bühlmann (Konzept, Regie, Performance) zu «UNSCHULDIG IM GLITZERWALD»

Anke Hoffmann: Wer ist heute überhaupt noch unschuldig?

Tobias Bühlmann: (lacht) Da sind wir ja bereits mitten in der zentralen Fragestellung. Ich kann die Frage ganz einfach zurückgegeben: Wie gehst du denn mit deinem Schuldigsein um?

AH: Na ich... laufe von morgens bis abends mit einem schlechten Gewissen herum.

TB: Du also auch? O.K.
Meine Mutmassungen sind, ein paar von uns tun das – und vielleicht müssen die dieses Stück nicht mehr sehen, weil sie schon alles wissen, was wir sagen können. Vielleicht müssen sie aber trotzdem kommen, weil sie die Chance bekommen, ihre Situation ausgestellt betrachten zu können – überhöht, als Ergebnis eines künstlerischen Prozesses. Die Hoffnung dahinter ist, in eine Art Zustand produktiver Draufsicht aufs eigene Leben und Agieren gehen zu können ... Spezifisch für den Erzählstil von asuperheroscape ist ja, dass man als Zuschauer/in an einer Art Ritual teilnimmt. Man sieht auf der Bühne Figuren, die miteinander reden oder auch streiten, aber jeder Satz geht eigentlich direkt in Richtung Publikum und wird auch nur für das Publikum gesagt. Die Dramaturgie des Stückes ist immer an der Frage ausgerichtet, was die Zuschauerschaft erlebt. Nicht, ob an der Figur noch was fehlt, oder ob da ein Konflikt noch nicht fertig ausgetragen ist. Die Katharsis, wenn es sie denn gibt, soll im Publikum passieren, im Stück oder fast besser noch später im Alltag, wenn man sich selbst mit Figuren vergleicht, die man im Stück gesehen hat. Es geht um das Anschieben von einem Prozess. Das ist auch der Grund, warum wir mit so einer Bombaste-Plaste-Ästhetik auftreten, warum Hans Jakob Mühlethaler mit der Musik und Mimi mit den Kostümen wirkungsästhetisch alles aufbieten müssen, was nur möglich ist…

AH: Und kann man sagen, worum es im Stück geht?

TB: Also wie gesagt, ich gehe immer vom Publikum aus, ich frage mich immer, wer am Ende mutmasslicher Weise dort sitzen wird. Meine These ist: Im Mittel werden, global gesehen, sehr privilegierte Menschen dort sitzen. In UNSCHULDIG IM GLITZERWALD geht’s deshalb konsequenterweise um die Frage, wie mit diesen Privilegien umzugehen ist. Kann man und muss man aus ihnen eine Form der Verantwortlichkeit ableiten, oder kann oder will man das nicht? Darum kreist das Stück. Es kreist um die Frage der Verantwortung für Menschen, die eben nicht zum Kreis der Privilegierten gehören, die nicht Schweizer sind, die nicht zur Familie und zu den Freunden gehören, die nicht über die 6500 Franken verfügen, die in dieser Stadt pro Monat im Mittel verdient werden etc …

AH: Dieses „damit-umgehen“, ist das eher eine Form des provokanten Pessimismus oder auch eine, die Angebote alternativer Lösungen enthält?

TB: Es ist tatsächlich beides. Das Stück geht über die Depression hinaus, die mit Trumps Wahlsieg noch einmal verstärkt wurde. Die Frage, die ich im Stück stelle, ist: können wir den Prozess der Abschottung der Privilegierten von den Unprivilegierten vor dem Hintergrund einer globalisierten Welt halten oder weiter ausbauen, ist das in irgendeiner Weise legitim oder bauen wir dadurch schlichtweg an unseren eigenem Untergang mit? Das Stück will eine Form der Provokation mit Fragen der Verantwortlichkeit und Schuldigkeit erzeugen, hat aber auch eigene Ideen und wird zum Ende hin sogar visionär. Dann hat man tatsächlich die Chance, etwas mitzunehmen, eine positive Idee von Zukunft, in den Alltag hinaus.

AH: Liegt diese Öffnung hin zum „Visionären“ auch an einer bestimmten Zusammenarbeit mit anderen Künstler_innen in der neuen Arbeit? Oder bist du einfach jetzt an diesen Punkt gekommen?

TB: Da trifft wahrscheinlich beides zu. Es ist eine bestimmte Form der Zusammenarbeit; mit Jeremy Wade und Stefan Stock sind diesmal zwei Performer im Team, die ihre eigene Perspektive mitbringen und damit das Stück auch inhaltlich mitbauen. Diese eigene Perspektive schafft etwas, das aus meinem sonst eher strengen Erzählsystem ausschert, eine Fremd- und Eigenheit, die ich allerdings bewusst einkalkuliert habe – obwohl das Ausscheren natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad einzukalkulieren ist ... Mein letztes Stück baute sehr viel auf den Text und die möglichst virtuose Wiedergabe dieses Textes. Und ich bin an einem Punkt gekommen, wo ich dieser Setzung nicht mehr so vertraue. Mich interessiert die Perfektion der Ausgestaltung einer Rolle nicht mehr so stark, sondern ich will neben dem grossen priesterhaften Theatergestus, der vor allem durch Johannes Suhm erzeugt wird, Charaktere auf der Bühne haben, die eine gewisse Ambivalenz haben – im Sinne von, dass sie auch wirklich ein Stück weit ihre eigenen Befindlichkeiten auf die Bühne tragen.

AH: Bei deiner letzten Arbeit «Kinder des Wohlstands» gab es diese Figuren, die mit ihrer Arbeitsbiografie miteinander im Dialog waren und denen man darin folgen konnte. Und diesmal ist es gebrochener?

TB: Diesmal ist es gebrochener, weil da einerseits Figuren und andererseits Performer-Charaktere auf der Bühne stehen bzw. eine Mischung von beidem. Auch ich stehe bis zu einem gewissen Grad mit meiner eigenen Biografie auf der Bühne – und habe die Pflicht, eine sehr unangenehme Rolle zu spielen. Ich muss die Konsequenzen meines eigenen Systems ausbaden, das ist anstrengend, aber es fühlt sich sehr richtig an.

AH: Aber das heisst, du spielst mit der Authentizität einer Ehrlichkeit, die eigenen Gefühle auszustellen, die auf die Bühne zu bringen. Warum?

TB: Es geht mehr um die Authentizität des Inhalts als um die Authentizität des Gefühls. Das Publikum hat ein Gespür dafür, ob etwas eine reine Behauptung ist oder eben biografisch gefüllt. Für mich war ab einem bestimmten Punkt klar, dass bei diesem Thema, wo es so sehr um die eigene (globale) Verantwortlichkeit geht, reines Behauptungstheater ein „no-go“ ist. Auch ein reines sich-hinter-schönem-Text-verstecken geht nicht mehr, deswegen mache ich selber mit, deswegen stelle ich mich selber aus.

AH: Das könnte jetzt auch so klingen – wenn man dich und deine Arbeit nicht kennt – als wäre das ein unerträglich zermürbender Prozess, jemandem zuzuschauen, der sich mit der eigenen Indifferenz quält. Aber du schaffst es ja dann doch, das mit einer lustigen, komischen Distanz zu brechen. Das schaffst du auch mit einem Setting, in dem vor allem die aufwendigen Kostüme eigentlich viel zu gross sind für die kleinen Spieler darin. Das erzeugt, dass die Anmassungen der Figuren mit ihren Problemen auch etwas Lächerliches bekommen und dadurch zu ertragen sind.

TB: Ja genau. Meine Aufgabe ist es, einen Raum zu erzeugen, der nicht nur Zermürbung auslöst. Dieser Raum muss auch ein Ermöglicher sein, ein Raum für utopische Gedanken. Wobei es immer auch anstrengend ist. Ich mag es ja, an die Grenzen zu gehen. Für mich als Regisseur und Autor ist es letztlich eine Frage der Komposition, eine Frage der musikalischen Wechsel von Zärtlichkeit und Brutalität. Meine Stücke sind ja so ein bisschen wie eine wütende Predigt ohne Gott oder Psychotherapie ohne Anspruch auf Heilung, bzw. vielleicht doch vergleichbar mit einer der Psychotherapie verbundenen Hoffnung auf Heilung. Wenn man das nicht versteht, macht die ganze Setzung keinen Sinn. Das ist aber, glaube ich, ein Umgang mit dem Medium Theater, der sehr spezifisch für unsere Theaterarbeit ist. Das macht auch die Legitimität dieser Form von Theater aus. Und dafür braucht es auch diese Räume, die es im Stadttheater schlichtweg so nicht gibt.

Website der Gruppe asuperheroscape: http://asuperheroscape.com/

©Basil Stuecheli (Szenenfoto)

Pressestimme zu „FLUCH DER FREIHEIT“, 2011):
„In sagenhaften Kostümen von Mimi Bühlmann, die Klaus Nomi verzückt hätten, malträtiert die Gruppe „asuperheroscape“ in der Regie von Tobias Bühlmann den Theaterraum, das Publikum und den ins Zentrum gerückten Begriff der Freiheit. Das philosophisch schwergewichtige Thema in einem großen Bogen von der französischen Revolution bis hin zur uniformen Spassgesellschaft, die glaubt, individuell zu agieren, mit übersteuertem Schwachsinn zu konfrontieren, der nicht selten die Grenze zur Hysterie überschreitet, hat unbenommen seinen Reiz.“
Thierry Frochaux, Kritiker P.S.,