Mehr Information zu «0» von Gruppe Guerilla 0 (Premiere 2.03.17)
©AnaHofman (Szene 0)
Im Gespräch mit
Tobias Bienz (Spiel) und Benjamin Burger (Spiel &Initiator des Projekts) zu ihrer Arbeit «0». Die Mitglieder der Gruppe 0 haben Stück, Aktionen, Haltung und Arbeitsphilosophie gemeinsam erarbeitet.
Anke Hoffmann: Gruppe Null das klingt nach einem Nullpunkt, einem neuen Anfang, einem Punkt, wo noch nichts klar ist. Ist das etwas, was euch umtreibt?
Benjamin Burger: Ja, die Null hat sich, glaube ich, aus einem etwas verschwommenen Sehnsuchtsgefühl geformt, das spielte da mit rein... Obwohl das Tolle dabei ist die Vielschichtigkeit, die dahinter steckt. Es kann der Neuanfang sein, aber die Null als Symbol bedeutet ja eigentlich nicht Nichts, sondern ist letztendlich das Abhandensein von Etwas, und somit das Potential der Möglichkeiten mit dem etwas gefüllt werden kann, eine Leerstelle, die auf ein Potential verweist. Das ist die Deutung, die unserer Erfahrung gerade am nächsten kommt.
AH: In eurem Ankündigungstext schreibt ihr von Suchbewegungen, die einer Ordnung zuwider läuft oder sie irritiert. Was genau versucht und sucht ihr?
Tobias Bienz: Die Suchbewegungen nach einer Haltung: wie kann man noch Künstler sein in Anbetracht der Welt? Wie kann man als Künstler in unsere Umwelt einwirken, ohne dass man den Welterklärer mimt und das Publikum mit etwas SVP-Bashing eher beruhigt als in eine kritische Auseinandersetzung bringt. Wir wollten Hebel und Mittel von Theaterarbeit auch ausserhalb des Kulturkuchens und des geschützten Inszenierungsrahmens nutzen: Wie kann unser Stück und unsere Auseinandersetzung auch im Blick am Abend stattfinden, wie kann es auf der Strasse oder auf Werbetafeln stattfinden und wie kann sie im Theaterraum stattfinden – das ist jetzt gerade unsere Frage. Eine Fragestellung innerhalb der Suche war, wie wir Menschen erreichen können, die nicht schon in die Gessnerallee gehen.
AH: Ihr habt einige Aktionen im Vorhinein eures Stückes jetzt gemacht... Welche Begegnungen habt ihr dabei erlebt? Was ist da passiert?
Burger: Wir haben zum Beispiel eine Telefonnummer gestreut und die Leute haben dort angerufen. Irgendwann war die Nummer wohl vor einem Schulhaus und da haben viele Schüler_innen angerufen...
AH: Wie genau habt ihr die Nummer gestreut?
Burger&Bienz: Wir haben sie plakatiert und in Artikeln auf tsüri.ch publiziert. Als ein 20 Minuten-Redaktor den Entführer der Rütliwiese hinterherrecherchiert hat, fand er die Nummer über unseren Projekthashtag #nullvision. Der hat dann in seinem Artikel zur Rütliwiese auch auf diese Nummer hingewiesen. Die Telefonnummer ist immer noch aktiv ... wenn wir nicht gerade in den Endproben sind.
Burger: Diese Suche nach einem widerstehenden Ich, nach einem Widerstandskörper – und mit Widerstand ist nicht die geballte Faust gemeint, sondern die Existenzform, der Mensch als widerstehender Körper in der Welt gemeint. Und in der Konfiguration in der Menschen ausgesetzt sind. Und die Aktionen stellten für uns auch immer eine Recherche dar, in welchen Organismus leben wir, wie reagiert er auf Reize, wie ist die Ordnungsstruktur, die um ums herum ist und wie reagiert die auf Reize, wie wird die Ordnung reproduziert, wiederherstellt? Wie zum Beispiel Plakate so schnell wieder aus dem öffentlichen Raum verschwinden, nachdem wir sie verteilt hatten Was erzählt uns das über greifende Mechanismen, die Ordnung wiederherzustellen.
©AnaHofmann (Szene 0)
AH Das klingt also ob diese Null als eine ganz grundsätzliche Vorraussetzung infrage stellt, wie man miteinander umgeht. Eure Beispiele, das sind mal kleinere Irritationen, wie dieser Fake eines Baufehlers oder auch provokantere Versuche erscheinen für mich wie die Untersuchungen, an welchen Selbstverständlichkeiten kann man an einer kleinen Schraube drehen und auf einmal ist alles ganz anders? Auf einer fast sinnlich-erfahrbaren Ebene, als einem komplexen Wunsch die Welt zu verändern ...
Bienz: Ja, das beschreibt es recht schön. Wir haben mit einer sehr grossen Sache angefangen, auch den Fragen, wie und wo kann man etwas verändern und sind immer weiter dahin gekommen, dass das System bei uns im Kopf und bei uns selbst im Bauch anfängt. Und da sind wir jetzt gelandet.
Burger: Die deutlichste Beobachtung für uns ist: The world is a habit. Our world is a habit. Und die Selbstverständlichkeiten sindkeine Notwendigkeiten, sondern Tradition, Rituale, die wir vollziehen, das bestimmen unsere Begegnungen mit der Welt. Da merken wir auf einmal, spezifisch auf auf einer künstlerischen Ebene, da können wir eine Reibung verursachen. Da haben wir wieder Schwung bekommen. Wir haben lange Zeit genommen, um herauszufinden, wie wir gerade im Team erarbeiten. Und wir haben festgestellt, wir erarbeiten eine Haltung. Für uns war es sehr stark eine Suche nach einer Haltung - über kollektive Gruppenprozesse - ... die sich tatsächlich innerhalb des Teams wie eine Empfindung aufgebaut hat ...
Und wir hoffen, das sich das einlöst auf der Bühne. Wir können machen, was wir wollen, letztlich müssen wir dieses Gefühl mit auf die Bühne tragen und dabei viel weniger reden oder zu erklären als einfach SEIN.
AH Das wäre jetzt auch meine Frage, worin das Angebot an euer Publikum besteht?
Burger: Wir sind gar nicht mit dieser Idee eines Angebots an das Stück herangegangen. In den vier Stücken bisher haben wir uns immer diese Frage gestellt: Was ist unser Angebot?, Was wollen wir auslösen? – und jetzt haben wir uns dieser Frage verweigert. Die Zuschauer sind eingeladen, sich selbst zu verhalten und nachzuempfinden, wie wir gegen die Welt anrennen. Auf einer grundsätzlicheren Ebene, als man das gewohnt ist, denn unsere Ausgangslage war eine Empfindung. Es geht um Haltung.
Bienz: Es ist diesmal ein sehr offener Prozess. Für uns ist diese Suche auch innerhalb des Raumes auf der Bühne nicht abgeschlossen. Der Bühnenraum ist einerseits eine Erweiterung der Aktionen, die wir bisher im öffentlichen Raum gemacht haben und auf der anderen Seite ist der Raum und das, was darin passiert ist auch durch die eigene Neugier und ein eigenes Bewegen und Suchen selbst zu erfahren. Es soll Lust machen, sich selbst autonom in dem Raum zu bewegen und sich darin aufzuhalten, so lang wie man möchte.
Burger: Es geht um ein ausgesetzt-sein inmitten von Ereignissen, die dort geschehen und sich dabei selbst als Subjekt wahrnehmen und begegnen zu können. Es wird ein grosser Raum, den man frei begehen kann, es gibt nur eigens komponierte Musik von Dave Eleanor, es gibt grosse tragende Bilder und kleine, feine Interventionen im Raum. Es gibt das Pathos, aber auch die feine Berührung.
AH: Ihr seid dabei, eine Übersetzung eures kollektiven Erkenntnisprozesses in eine Einladung zu einem sinnlich, athmosphärisch erfahrbaren Raum, weniger politisch-moralisch, was es auch hätte sein können...
Burger: Wir haben hier in dieser Arbeit einen ganz anderen Zugang als beispielsweise im letzten Stück [A Lovely Piece of Shit] gesucht, wo es noch um eine Art Anklage ging undum das Ausstellen unserer Selbst innerhalb von bestimmten Mechanismen. In diesem neuen Stück haben wie nach eine anderen Zugang gesucht. Hier werden alle Komponenten des Stückes, auch Musik und Kostüme, zu einem Verhandlungsgegenstand werden und zu eigenen Verarbeitungen werden von einer Idee und das kommt zusammen.
AH: Es gibt also keine vierte Wand und die räumliche Trennung von Zuschauer und Spieler wird aufgelöst, Teile der Inszenierung selbst werden zum Gegenstand. Wie genau kann man sich das vorstellen?
Bienz Es gibt fünf Performerinnen, davon ist einer Musiker, die den Raum auch bespielen. Es ist eine Mischung aus performativen Handlungen und visuelle bewegten Bildern und schauspielerischen Interventionen. Der Raum ist selbst eine performative Installation, installativ und performativ. Man braucht auch Ruhe und Ausdauer.
AH: Oder ist der Raum, die Installation, das Stück selbst eine Inszenierung von Ruhe und Ausdauer an das Publikum, mit repetitiven, aber auch unerwarteten, mit sinnlichen und installativen Elementen?
Burger: Tatsächlich wird sich der_die Zuschauer_in erstmal selbst lokalisieren und verorten müssen. Das ist ein wichtiger Grundmechanismus, dass man da in eine Welt hineingeworfen wird, die sich erstmal nicht erschliesst.
AH: Meine letzte Frage zielt auf die Heimlichtuerei, die Heimlichtuerei mit dem Namen, und dieses: wir verraten nichts und wissen auch nichts... Was steckt dahinter?
Burger: Pragmatismus. Erstmal einmal effektiv Selbstschutz, damit wir Möglichkeiten haben gewisse Eingriffe zu machen. Wir haben schliesslich die Rütliwiese entführt, indem Moment wo es offensichtlich gewesen wäre, wer dahinter steckt, wären wir bekanntgeworden und es wäre auch bis zur Gessnerallee gegangen und dann hätte es keine Kraft mehr gehabt in den Medien. Wir haben natürlich damit gespielt, die Herkunft zu verschleiern bis auf den Sprecher Benjamin von Wyl, den man in der Szene verorten konnte, der aber gleichzeitig in seiner journalistischen Branche verortbar war und das dadurch natürlich auch getragen hat. Wenn die Aufführung jetzt nicht gekommen wäre, hätte es mir auch Spass gemacht, so noch ein Jahr weiter zu machen. Wobei die Entblössung jetzt bei der Aufführung auch Sinn macht.
Guerilla aka Extraleben an der Gessnerallee:
LOVELY PIECE OF SHIT (2015/16)