Gessnerallee
Zürich


Mehr Information zu «Requiem for a Piece of Meat» (Premiere DO 23.03)

Szenenfoto ©ValerieReding

Im Gespräch mit Daniel Hellmann «Requiem for a Piece of Meat» 

Anke Hoffmann: Seit Jonathan Safran Foer sein Buch, vor etwa sechs Jahren, «Tiere essen» veröffentlicht hat, aber auch durch Kinofilme ist das Thema der Massentierhaltung und seine kritische Befragung im Mainstream angekommen. Aktuell schreibt auch DER SPIEGEL auf seinem Titel: Wieviel Fleisch essen? Welches Fleisch essen? Künstliches Fleisch essen? Und Fleischesser scheinen, nach den Rauchern, zu DER nächsten Ausgrenzungsgruppe zu werden… Ich glaube, dass es vielen Menschen klar ist, das industrielle Tierhaltung für die Umwelt und für die Tiere selbst eine grosse Belastung ist. Trotzdem ist es extrem schwierig, bei den Dingen des Lebens, die mit Genuss und mit Lebensqualität zu tun haben, das so zusammen zu bringen, dass es Konsequenzen hat. Und jetzt versuchst du dich als Künstler daran… auf welcher Ebene?

Daniel Hellmann: Wir wissen wohl weitgehend alle, dass die Produktion von tierischen Nahrungsmitteln problematisch ist, aus Umweltaspekten, wie auch aus gesundheitlichen und tierethischen Aspekten. Die Information ist da, es wird viel darüber geredet, aber der Transfer Gewohnheiten zu ändern ist sehr, sehr schwer. Es gibt den Begriff des Karnismus von Melanie Joy, der besagt, dass es eine Ideologie des Fleisch-Essens gibt, die erlaubt, manche Tiere zu essen, eher wenige und andere eben nicht, weil es z.B. eklig wäre. Wenn man in diese Themenwelt eintaucht, stösst man andauernd auf Widersprüche. Was oder wen darf man töten, gegen was oder wen darf man Gewalt ausüben? Unsere Gesetze schützen Menschen vor Gewalt, aber auch Dinge, wie: man darf ein Auto nicht zerstören, aber Tiere erfasst das nicht …

AH: Aber wenn man einer Katze oder einem Hund Gewalt antut, das zieht schon Konsequenzen nach sich…

DH: Genau, je nach Kategorie von Tieren. Es gibt Tiere, die geschützt sind, weil sie Haustiere sind oder Wildtiere. Nutztiere fallen da nicht rein. Natürlich gibt es Gesetze gegen Tierquälerei in der industriellen Tierhaltung, aber die Standards sind so gering. Das Schlachten eines Tieres ist ja auch eine zerstörerische Gewaltanwendung. Das sind eben diese Widersprüche.
Mein Anliegen war aber, mich für diesen Prozess möglichst wertfrei hinein zu begeben und sich erstmal mit dem Material Fleisch zu beschäftigen, das ja den Menschen mit dem Tier und auch mit Dingen verbindet. Sich mit Fleisch als Material zu beschäftigen, ohne sich mit lebenden Tieren zu beschäftigen, ergab sich jedoch als falscher Ansatz. Ich interessiere mich für den Moment der Transformation vom lebendigen Subjekt zum Objekt. Das passiert ja bei Menschen und Tieren, bei gewaltsam Getöteten und bei natürlich Gestorbenen.
Eigentlich gehen alle Meinungen inzwischen davon aus, dass zumindest Tiere mit zentralem Nervensystem ein Bewusstsein haben, dass sie nicht nur Leid empfinden können, sondern auch Freude, Neugier, Lust, dass sie soziale Bindungen eingehen und sexuelle Wesen sind. Als solche werden Tiere dann zu einem Subjekt wie ich auch. Und wenn man sich das vermittelt und dann wieder über Fleischkonsum nachdenkt …

AH: In den Humanwissenschaften gibt es diesen Begriff des Post-Anthropozentrismus, mit dem Parallelen zwischen der menschlichen Fähigkeit zu denken, zu visionären, zu fühlen, sich auszudrücken und Tieren - ob Wale oder kleine - Nager, nachdenkt und dabei die Hierarchie, der Mensch ganz oben und alle anderen als Untertanen, hinterfragt und anders versucht, zu denken.

DH: In allen wissenschaftlichen Bereichen war man immer sehr darum bemüht, dem Menschen als Spezies seinen Sonderstatus zu wahren, die anthropologische Differenz. Ich finde es mittlerweile viel spannender zu fragen: nicht, was unterscheidet uns von den Tieren, die wir essen oder auch von denen, die wir nicht essen, sondern, was haben wir gemeinsam? Und das war der Ausgangspunkt vom Projekt, diese Fragen mit einem grossen Team zu stellen. Es geht dabei aber um Differenz im Allgemeinen, um „das Andere“. Wir verhalten wir uns dazu, wie können wir uns begegnen, welche gemeinsamen Räume sind möglich. Daraus entstand auch der Wunsch, dass wir mit Tieren (in den Proben) zusammen arbeiten, einen gemeinsamen Prozess erleben, uns regelmässig sehen …

Szenenfoto ©ValerieReding

AH: Was sind das für Tiere…

DH: Ich hab längere Castings gemacht, mal ein Schaf im Studio gehabt oder mal Katzen. Das Schaf war sehr problematisch, hat Angst bekommen alleine, das ging leider nicht, weil so ein Schaf eine Herde braucht. Das war ein Fehler von mir, das hätte ich vorher wissen können. Wir hatten Besuch von Katzen und Hunden. Irgendwann kamen zwei Minischweine, die bei Freunden von mir leben, die fand ich plötzlich hochinteressant. Auch weil Schweine, neben Hühnern, die am stärksten misshandelten Tiere in der Massenproduktion sind, eben auch zahlenmässig. Die Rinder dürfen ja doch noch mal auf die Weide, aber mehr als die Hälfte der Mast-Schweine in der Schweiz sehen nie die Sonne.
Diese Minischweine sehen anders als die, die wir aus der Massenproduktion kennen, sind borstig und dunkel und haben was von Wildschweinen und sie sind sehr an den Menschen gewöhnt. Wir haben uns gefragt, was es braucht, damit diese Begegnung auf mehr oder weniger fairen, hierarchiefreien Mechanismen geschehen kann. Unser Wunsch war, mit den Schweinen so zu arbeiten, dass sie gerne zur Probe kommen. Ich wollte aber noch andere Tiere dabei haben, damit nicht wieder so eine falsche Binarität entsteht zwischen Mensch und Tier. Wir sind den Schweinen sicherlich näher als einer Libelle. Ich wollte gern noch Fische haben, und zwar Knabberfische, die den Leuten die tote Haut von den Füssen knabbern. Das hat mich interessiert, weil da plötzlich Nutztiere den menschlichen Körper essen. Das habe ich dann aber aus logistischen und ethischen Gründen abgelehnt und es wurde auch nicht bewilligt vom Veterinäramt, weil das, so die Argumentation, gegen ihre Würde verstösst, in einer Theateraufführung benutzt zu werden…

AH: Heisst das, das Veterinäramt hat relativ hohe ethische Grundsätze?

DH: Es kommt darauf an, um welche Tierarten es sich handelt. Die Zwergschweine sind in Zürich nicht bewilligungspflichtig, weil es Haustiere sind. Diese Kangalfische, die man sonst in diesen Fuss-Spa-Salons arbeiten lässt, brauchen eine Bewilligung, weil es Wildtiere sind. Diese Einteilung ist natürlich höchst problematisch und macht aus der Perspektive der Tiere keinen Sinn.

AH: Nun gibt Mythologien um und über Tiere und verschiedene Tiere, die historisch, kulturell oder religiös eine gewissen Rolle spielen, verehrt werden. Heilige Katzen im alten Ägypten oder heilige Rinder bei den Hindus… Hat euch das auch interessiert, diese Überhöhung bestimmter Tiere?

DH: Es gibt viele parallele Recherchen, auch persönliche Recherchen … und entsprechend auch sehr viele verschiedene Meinungen zu Tierhaltung und Fleischkonsum. Wir sind ein grosses Team, wir haben vier Tänzer_innen, vier Musiker_innen, die alte und zeitgenössische Musik spielen und singen und eben die Zwergschweine. Wir versuchen das Thema eher aus einer ganz aktuellen Perspektive zu behandeln. Wir waren z.B. auch an einer Schweineschlachtung auf einem Biohof letzte Woche.

AH: Wie war das für euch?

DH: Es war… sehr … widerspruchsvoll. Bessere Standards und artgerechte Haltung und dennoch ist es ein Hof, der Tiere aufzieht, um sie dann zu töten. Und sich mit diesem Prozess seine Existenz sichert.

AH: Es heisst ja oft, dass der faire Umgang mit dem Tiere-essen der wäre, man würde auch den Tötungsprozess sichtbarer miterleben und diese Konsequenz mit einbeziehen.

DH: Wir haben das viel diskutiert. Ist eine sichtbare Tötung denn eine faire Tötung? Es gab auch die Problematik, dass eine Schlachtung auch zum Spektakel werden kann, wenn wir uns das so reinziehen für unseren Prozess. Das Ansehen einer Tötung von einem Wesen, dass Lust hat zu leben, wird dann zu einem ästhetischen Prozess, den wir in einem Tanzstück verwerteten. Das haben wir im Team kontrovers diskutiert. Aber wir möchten davor nicht die Augen verschliessen und sind dann zur Schlachtung hingegangen. Es gab vorher eine grosse Skepsis, ob das richtig ist und es wollten auch nicht alle mitkommen. Das Erleben der Schlachtung selbst war dann eine überraschend sachliche Angelegenheit. Ich habe ja nicht mal kapiert, in welchem Moment das Tier eigentlich gestorben ist, es war ja durch die Betäubung schon weg, ein Stück Fleisch. Ich war darüber erschrocken, wie wenig mich das emotional berührt hat. Wie sehr gewöhnen wir uns an solche Bilder?

AH: Du sagtest, dass ihr euch als Team erstmal in einen neutralen Prozess der Untersuchung begeben habt. Ist das Stück neutral oder gibt es doch ethische oder moralische Angebote?

DH: Das ist natürlich schwierig. Ich will nicht moralistisch sein, aber die Auseinandersetzung mit diesem Thema seit zwei Jahren hat mich auch verändert. Selbst Eier zu kaufen ist nicht mehr einfach, denn ich weiss, wie diese Produktion, auch in Biohöfen, funktioniert. Wieviel Gewalt und Leid dahinter steckt, wenn ich Lust habe mir zum Frühstück ein Spiegelei zu machen. Aber das würde ich nie meinem Publikum oder dem Team so vorsetzen… Wir versuchen in dem Stück Bilder für die Widersprüche zu finden, Rahmenverschiebungen stattfinden zu lassen, unhaltbare Grenzen aufzulösen. Wir haben den Wunsch, als eine Gemeinschaft von Verschiedenen auf der Bühne zu sein.

Szenenfoto ©ValerieReding

AH: Welche Ästhetik, welche Art von Stück wird es sein?

DH: Es wird ein choreographisches Musiktheater-Stück sein, beides zusammen. Wir arbeiten mit Tänzer_innen und einem Ensemble aus Basel, novantik, sie spielen alte und neue Musik. Wir nutzen ein breites musikalisches Repertoire, Musik aus dem frühen Barock und zeitgenössische Musik. Es gibt da zum Beispiel ein Wiegenlied von Tarquinio Merula, da singt Maria zu Jesus: Schlaf jetzt, alles ist in Ordnung, nimm noch etwas von meiner Brust, denn deine wird bald durchbohrt; Deine Füsschen sind so süss, bald wird man dir die Nägel ausreissen … Das hat sowas Liebevolles und zugleich ganz Brutales, die Gewalt ist latent. Das widerspiegelt auch unsere Beziehung zu Tieren: die Ambivalenz von Fürsorge und Dominanz.
Dann arbeiten wir mit dem Basler Komponisten Lukas Huber. Er hat eine Auftragskomposition für uns geschrieben mit alten Instrumenten und Gesang, dann wird es auch Live-Elektronik als Brücke zur Klangwelt von heute geben. Die Tänzer_innen sind auch sehr unterschiedlich in ihrer jeweiligen Bewegungssprache. … Es geht nicht um Aufklärung oder Vorwürfe, es gibt keine Bilder aus dem Schlachthof; die Leute kenne diese Bilder. Wir schaffen ein Setting, eine Atmosphäre aus Beziehungen und Präsenzen, aus Objekten und Performer_innen, die uns erzählen, wie wir miteinander umgehen. Wir sind ja eigentlich alle gegen Gewalt, aber ganz verzichten auf Produkte, die nur mit Gewaltausübung entstehen können, wollen wir auch nicht.

AH: Diese Doppelzüngigkeit sind wir imstande zu leisten, wir abstrahieren bereits im Laden und dann doppelt auf dem Teller…

DH: Das mache ich ja auch. Ich mache das Stück und trage meine Ledertasche jeden Tag. Ich bin auch in diesen Widersprüchen verstrickt. Die Gambe (Musikinstrument), die wir spielen, ist bestückt mit Darmseiten. Der Bogen zum Streichen der Saiten besteht aus Pferdehaar. Wir machen Musik aus Tieren. Wir sind mittendrin und können nur versuchen, diesen Widersprüchen ins Gesicht zu schauen.

AH: Ist dann diese ästhetische Anordnung mit Tanz und Musik, Bühnenbild und Stimmungen eine sinnliche Erkenntnis?

DH: Das ist ein Versuch, ja. Es ist eine philosophische, eine ethische und auch eine ästhetische Auseinandersetzung. Wir arbeiten... wir verwerten alles, was wir finden in diesem Kosmos aus geschlachteten Tieren. Das klingt jetzt furchtbar. Aber Tiere essen ist ja auch in erster Linie ein ästhetisches Erlebnis. Wir machen es nicht mehr zum Überleben, sondern weil wir den Geschmack mögen, Gesten vom Zubereiten mögen. Und was wir für’s Stück machen ist ähnlich. Wir schauen uns Schlachtungen an und machen daraus Tanz.
In «Requiem for a Piece of Meat» geht es auch um den Tod. Wir Menschen haben nicht nur eine pathologische Beziehung zu Tieren, wir haben meistens auch eine sehr sonderbare Beziehung zum Tod. Ich persönlich habe noch nie einen toten Menschen gesehen, aber habe Jahrzehnte lang tote Tierkörper gegessen, ich trage sie auf mir (als Kleidung), oder setze mich drauf. Nur haben wir gelernt darüber hinwegzusehen, dass es sich um tote Körper handelt. Der Tod ist abwesend und doch überall präsent. In diesem Sinne feiern wir im Stück eine Totenmesse – mitten im Leben.

Das Gespräch wurde am 22. Februar 2017 geführt.


Daniel Hellmann an der Gessnerallee
TRAUMBOY, 2015

FULL Service, 2014